Der neue Mann: Total „von der Rolle“

Feature mit Christoph May (Männerforscher), Dr. Reinhard Winter (Pädagoge und Geschlechterforscher) und einer Männergruppe in München

Autor: Michael Zametzer / Regie: Martin Trauner / Moderation: Iska Schreglmann / Redaktion: Gerda Kuhn

Was macht den Mann heute aus? Eine Frage, die sich Männer in früheren Zeiten so nicht stellen mussten. Ihre Rolle in Gesellschaft und Familie war klar definiert und über Jahrhunderte tradiert: Sie waren die Ernährer, die Oberhäupter, die Vorstände. Diese monolithischen Rollenmuster sind ins Wanken geraten.

Zwar bringt in Deutschland auch heute noch meist der Mann das Geld nach Hause. Aber je größer die emanzipatorischen Fortschritte der Frau sind, umso mehr beeinflussen sie auch die Suche nach einer „neuen“ Männlichkeit – für viele Männer ein Spagat: zwischen traditionellem Ernährer und modernem Partner, beruflich erfolgreichem Macher und sensiblem Vater – selbstbewusst und selbstkritisch, cool und einfühlsam zugleich. Das Problem der Männer bei dieser Rollensuche: Es fehlt ihnen an Vorbildern.

Manuskript / Bayern 2

AUSZUG

O-Ton Christoph May

„Ich wär vorsichtig, von einer Krise zu sprechen, weil – nach 2000 Jahren sag ich mal männlich dominierter Geschichte und männlich dominierter Privilegien und eigentlich einer total männlich geprägten Welt, infrastrukturell und bei den Unternehmen und überall, kann man nicht von einer Krise sprechen. Der heterosexuelle weiße westliche Mann ist nach wie vor superprivilegiert; was mit Krise eigentlich gemeint ist, das die Privilegien in eine Krise rutschen, also die Selbstkritik des Mannes ist im Grunde in einer Krise. Und da steht der Mann erst am Anfang.“

Sprecherin

Christoph May, Jahrgang 1980, bloggender Männerforscher aus Leipzig, will Männern diese Selbstkritik in Bezug auf die eigenen Privilegien vermitteln, sie aus ihrer Schweigsamkeit und der seelischen Distanz zu sich selbst herausbringen: Bei Workshops und Vorträgen spricht er Männer an, die zwischen alten Rollenmustern und neuen Ansprüchen an ihr Geschlecht regelrecht festhängen. Sie verbieten es sich, emotional offen zu sein, sich selbstkritisch zu hinterfragen, Hilfe zu suchen. Weil Männer eben nicht über sich reden. Nicht über Gefühle, Krankheiten, Zustände.

O-Ton Christoph May

„Männer haben gut gelernt, Gefühle vorzugeben, oder wissen, wie sie sozial so tun, als könnten sie viel darüber sprechen, aber im Grunde ist es immer nur ein Erklären, es geht nicht immer ans Eingemachte.“

Sprecherin

„Dabei könnte das durchaus Leben retten. Die Selbstmordrate ist bei Männern in Deutschland dreimal so hoch wie bei Frauen. Männer sind häufiger von Obdachlosigkeit und Drogenmissbrauch bedroht. Zugleich ist die eigene Definition von Männlichkeit auch stark vom sozialen Status abhängig. Männer, die sich im Beruf ihrer männlichen Dominanz beraubt fühlen, versuchen deshalb oft, diese Art von psychologischer „Entmannung“ zu kompensieren – und damit auch die eigene emotionale Sprachlosigkeit.

O-Ton Christoph May

„In sämtlichen jugendlichen Jugendkulturen geht es genau darum, dass Männer sich in Männerbünde zurückziehen, weil sie damit konfrontiert sind, dass sie irgendwie an ihre emotionale Sprache herankommen wollen durch ganz extreme Dinge wie dauernd mit dem Skateboard auf die Nase fallen, oder beim Graffiti sich Gefahren aussetzen – es geht immer darum, den Körper in den Action-Zustand zu versetzen, deswegen stehen wir auch so auf Gewalt und Action, weil das Ausnahmezustände sind, körperliche, in denen wir uns spüren können, bei Porno-Orgasmen oder so, wo wir dann merken, hey, da ist irgendwas, da muss ich ran, das will ich haben, aber ich weiß es nicht zu benennen.“ […]

Sprecherin

So macht der Männerforscher Christoph May in den gängigen Storys der Populärkultur vor allem Männerphantasien aus: Von Star Wars über die Marvel-Heldenriege „The Avengers“ zu Super-, Bat-, oder Spiderman. Ob Konsolenspiel, Kinofilm oder Comic:

O-Ton Christoph May

„Und das kann man eindeutig darauf zurückführen, dass die Strukturen nach wie vor in Hollywood auch nach #MeToo sehr männlich geprägt sind. Mehr als 90 Prozent aller Drehbuchautoren sind männlich. Und Star Wars ist eine Männerfantasie seit jeher – die nächsten beiden Star-Wars-Trilogien bis 2028 wurden an Männer vergeben. Bis 2028 (!) hat Hollywood die Chance vertan, das Drehbuch von Star Wars an eine Frau zu vergeben.“ […]

Sprecherin

Nicht alle Männer reagieren auf den Verlust von Dominanz und alten Privilegien mit selbstkritischer Sinnsuche. Unter dem Begriff des „Maskulismus“ hat sich in den letzten Jahren ein lautstarker Antifeminismus entwickelt. Radikale Männerrechtler, die sich für benachteiligt halten und – vor allem im Internet – nicht vor Hetze gegen Frauen zurückschrecken. Hinter den sogenannten „Incels“ – einer Abkürzung für ‚Involuntary Celibacy‘ (unfreiwillige Enthaltsamkeit) – steckt eine Gruppe von Männern, die sich durch ihre Frauenverachtung definieren. Auf Online-Portalen wie Reddit.com etwa malen sie das Bild einer durch und durch feminisierten Gesellschaft, in der die Männer „entmannt“ sind. Eine Stimmung, die von der politischen Rechten nur zu gern aufgegriffen wird, sagt Christoph May:

O-Ton Christoph May

„Nehmen sie den ehemaligen AFD-Vorsitzenden Höcke, der hat in einer seiner Reden ganz deutlich betont, worum es geht, nämlich, dass Europa wieder zu seiner Männlichkeit zurückfinden muss, und das wir männliche Werte brauchen, und das ist der Aufhänger von AfD-Anhängern, die sind natürlich männlich dominiert, und die wollen ganz reaktionäre Rollenbilder, was bedeutet, Frauen in die Küche und Männer in die Arbeit. Die wollen vor allem keine komplexen, die wollen ganz klare Strukturen.“

Sprecherin

Eine allgemeine Rückentwicklung hin zum strikt konservativen Männerbild der 1950er Jahre ist aber wenig wahrscheinlich. Dafür sind die Lebensentwürfe der Männer mittlerweile zu unterschiedlich. […]

Sprecherin

Auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern müssen Politik und Wirtschaft die Strukturen dafür schaffen, dass Männer sich nicht ausschließlich über ihren Beruf definieren. Und – Männer müssen lernen, sich selbst von ihrem bisherigen starren, männlichen Rollenmuster zu emanzipieren. Auf dem Weg dorthin stehen sie aber – da ist sich der Männerblogger Christoph May sicher – erst am Anfang. Was läge da also näher, als sich mit denen zusammen zu tun, die den Weg der Identitätssuche schon ein gutes Stück gegangen sind – den Frauen?

O-Ton Christoph May

„Die #MeToo-Debatte hat gezeigt, dass wir in Diskussion kommen müssen mit den Frauen, um das positiv zu wenden, und uns eingestehen, dass wir am Anfang stehen und nicht viel wissen. Und wir sollten nicht so tun, als wüssten wir was.“

https://detoxmasculinity.institute/wp-content/uploads/2019/04/der-neue-mann-feature-bayerischer-rundfunk-bayern-2-christoph-may-reinhard-winter-michael-zametzer-detox-masculinity-network-mensstudies-3.pdf
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/der-neue-mann-total-von-der-rolle/970625
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