Graffiti: Gefühle & Gewühle

Landnahme-Strategien & Soft-Skills massiver Männlichkeit von Sprühern

Vortrag von Christoph May (ehemals Fuchs) / Gast: Rosy One

Hip Hop Ringvorlesung an der Universität Bern / 27. April 2015

Als professionell dokumentierte Show aus Schriftbild und Hip-Hop-Dramaturgie gelangt Graffiti weltweit zu Kommentar und Kritik. Den nächtlichen Choreographien der anonymen Männer geht eine enorme Faszination für konkrete und psychische Landnahmen voraus; das Begehren, Räume durch eine komplexe Symbolik aus Schriftbild und Körpersprache zu vereinnahmen. Ich untersuche diesbezüglich sowohl die literarischen Verarbeitungen als auch die schriftlichen Dokumentationen, Quellen und Selbstzeugnisse der Graffiti-Szene in Lyrics, Magazinen, Conversation Threads, Essays, Romanen und autobiographischen Texten. Der Vortrag zur Ringvorlesung nimmt ausschließlich Textebeispiele aus Berlin unter die Lupe.

Die raumgreifende Sprache von Graffiti-Sprühern bedient sich der radikalisierten Rhetorik eines Söldner- oder Guerilla-Krieges um Land (Block, Hood, Yard) und Fetisch-Objekte (Dosen, Züge, der Körper der Frau). Sie werden erobert und beschriftet, aber auch besungen, idealisiert und wortreich verteidigt. Ob Raub, Mord, Vergewaltigung oder Vertreibung: männliche Kriegsverbrechen werden hier kulturell transformiert bzw. formatiert (Photo, Video, Text), entschärft und im Verborgenen der Stadt en detail nachgespielt. Heimlich üben sich die jungen Feldherren in symbolischer Kriegsführung – Style-, Dance und Dj-Battle – und symbolischem Landraub. Im Unterschied zur beispielsweise irakischen Terrormiliz ‚Islamischer Staat‘ ist der Krieg, den die sprühenden Untergrundkämpfer führen, völlig gewaltfrei, komplett harmlos und bisweilen sogar literarisch und populärkulturell wertvoll.

An konkreten Textbeispielen werde ich zeigen, wie die Performing Kids/Men im Format- und Show-Kampf pseudo-radikale Identifikationsmuster ausbilden, um darüber redselig triumphieren, hassen, drohen und sich erneut herausfordern zu können. Für einen anschaulichen Vortrag werde ich begeitend etwa 60 Photos und einen kurzen Videoausschnitt zeigen.

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