Menschen statt Grenzen | Publik-Forum Nr. 5, 13. März 2020

Abgeschottet im Körperpanzer

Christchurch, Utoya, Halle, Hanau: Alle rassistischen Attentäter waren Männer. Und sie hassten Frauen. Woher kommt diese »toxische Männlichkeit«? Fragen an den Männerforscher Christoph May

Von Thomas Winkler Publik-Forum
Publik-Forum: Herr May, Deutschland ist schockiert von den Anschlägen in Hanau und Halle, die von rassistisch motivierten Männern verübt wurden. Immer öfter hört man nun den Begriff »toxische Männlichkeit«. Was ist damit gemeint?
Christoph May: Das ist ein soziologischer Begriff, der vergiftete, zerstörerische Männlichkeiten beschreibt. Er wird oft missverstanden. Viele Männer reagieren beleidigt auf den Begriff, weil sie glauben, sie selbst als Individuum würden damit als toxisch klassifiziert. Gemeint ist aber eine Gesellschaft, die von toxischen Verhaltensweisen geprägt ist: Da werden wir schon als Söhne in Strukturen groß, die wir übernehmen und täglich reproduzieren, weil wir unsere gewohnten Männerbünde nicht verlassen. Es geht um die Macht von Privilegien, die wir genießen, für die wir aber blind geworden sind.
Publik-Forum: Wenn Männer blind für diese Strukturen sind, bedeutet das doch, dass ihre Männlichkeit an sich schon toxisch ist…
Christoph May: Und es ist nicht ersichtlich, wie eine weniger toxische Männlichkeit aussehen könnte. Selbstkritik, Männerbünde aufbrechen, emotionale Sprachlosigkeit überwinden, das wäre ein Anfang. Stattdessen gibt es reaktionäre Bewegungen wie etwa die mythopoetische Männerbewegung um John Aigner in Berlin. Die wollen zurück in den Wald, ums Feuer rennen und sich in Schwitzhütten setzen, um dort ihren archaischen Eisenhans wiederzufinden. Deren Mann Sein Konferenzen erinnern äußerlich an Treffen von New-Age-Jüngern, dort begegnet einem viel antifeministisches, misogynes und rechtes Gedankengut. Mit einer neuen, positiven Männlichkeit hat das nichts zu tun. Im Gegenteil, hier geht es um Bestärkung, nicht um Selbstkritik.
Publik-Forum: Die extremste Form dieser toxischen Männlichkeit sind die sogenannten »Incels«. Auch die Täter von Halle und Hanau bekannten sich dazu. Was ist das?
Christoph May: Incel steht für »involuntary celibates«, also unfreiwillig sexuell enthaltsame Männer. Das sind Männer, die Frauen die Schuld daran geben, keinen Sex zu haben. Typische Opferposition von Tätern, ist verbreiteter, als man denkt. Verstärkt durch die Echokammer Internet steigert sich das schnell bis zu pathologischem Frauenhass. Incels sind allesamt zutiefst misogyn, zudem stehen sie oft in Kontakt zu rassistischen und faschistischen Bewegungen: das zieht sich vom Manifest des Massenmörders Anders Breivik durch das Christchurch-Pamphlet von Brenton Tarrant bis zu den 24 Seiten des Hanauer Attentäters Tobias R. Auch der Attentäter von Halle hat vor laufender Handykamera behauptet, der Feminismus sei an allem Schuld.
Publik-Forum: Sind Incels eine neue Variante des soldatischen, proto-faschistischen Mannes, den Klaus Theweleit vor vierzig Jahren in seinen »Männerphantasien« beschrieben hat?
Christoph May: Kann man so sagen. Theweleit selbst hat die »Männerphantasien« 2015 in seinem Buch »Das Lachen der Täter« mit spätmodernen Mördern verglichen, wo er die Schriften von Breivik und anderen Attentätern analysiert. Der männliche Körperpanzer, den Theweleit beschrieben hat, ist heute in Serien und Filmen präsent, im Sport, in der Werbung, einfach überall. Superman, Rambo, Terminator: Sie alle tragen einen Körperpanzer, am deutlichsten vielleicht der von Stahl umhüllte Ironman. Diese Motiv-Tradition gibt es, seit es Hollywood gibt – und sie härtet weiter aus. Der aktuelle Superman wird als »Men of Steel« beworben.
Publik-Forum: Aber Incels sind doch nur Auswüchse!
Christoph May: Nein, sie irren sich. Im Internet organisiert sich eine riesige, sogenannte »manosphere«, wo Männer unter sich bleiben, verbunden durch rassistische und frauenverachtende Ideologien, oft mit lautstarkem Anschluss an die politische Rechte. Ein Beispiel sind die MGTOW, das steht für »Men Going Their Own Way«. Oder nehmen sie die Pickup Artists, die sich zu hunderttausenden in Foren darüber austauschen, wie man Frauen manipuliert. Das sexistische Wort Verführung bedeutet hier immer Objektivierung, Manipulation, Grenzüberschreitung. Dort finden Sie alle Formen von Frauenhass, von Vergewaltigungs- über Totschlags- bis zu Ausrottungsphantasien. Die meisten Incels sind durch die Pickup-Schule gegangen, Frauen als Jagdobjekte zu betrachten und zu missbrauchen. Männer lernen hier Methoden, die Grenzen zum Übergriff aktiv zu überschreiten.
Publik-Forum: Die toxische Männlichkeit verbreitet sich also vor allem durch Serien, Filme und Internet?
Christoph May: Nicht nur. Die weltweit größte männliche Schweigekultur, die von Frauen nichts wissen will, ist die römisch-katholische Kirche. Wirklich keine Überraschung aktuell, dass Papst Franziskus ausdrücklich nicht den Zölibat aufheben und Frauen für Weiheämter zulassen will.
Publik-Forum: »Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe« haben die »Die Ärzte« mal ironisch gesungen. Ist da was dran?
Christoph May: Von den Ärzten kommen auch misogyne Songs wie »Die fette Elke« oder »Claudia hat nen Schäferhund« . Also ja, Gewalt ist immer ein Ausdruck von Angst und Abwehr, für Hilflosigkeit und emotionale Sprachlosigkeit. Es ist ja nicht so, dass sich Attentäter vorher gesellschaftlich engagieren würden, um Missstände zum Positiven zu ändern. Im Gegenteil, sie ziehen sich zurück, schotten sich ab und schmieden mörderische Pläne.
Publik-Forum: Ist auch ein linker Amokläufer vorstellbar?
Christoph May: Die Attentäter, die sie meinen, sind keine Amokläufer, also nein. Ganz einfach, weil in linken Kreisen gesprochen wird. Gerade die jungen Linken und Grünen haben diese Diskurse auf dem Schirm, sie reden miteinander, vertreten ein positives Ideal und sind sozial engagiert.
Publik-Forum: Nach Hanau wurde der AfD die Schuld an dem Attentat gegeben. Zurecht?
Christoph May: Natürlich trägt die männlich dominierte Partei einen großen Anteil an den Taten. Weil sie verharmlost und relativiert. Die AfD kultiviert eine Hass- und Ablehnungskultur. Und in diesem Klima fühlen sich viele Männer ermächtigt, ihre Hass und Rachefantasien in die Tat umzusetzen. Die Attentäter und die AfD eint dasselbe Argumentationsmuster: Um Hass gegen Frauen, Migranten oder Medien zu rechtfertigen, erklären sich die Täter zum Opfer. Nicht der Nazi ist das Problem, sondern immer die anderen, die Fremden, die Frauen.
Publik-Forum: Die AfD wehrt sich und sagt: Das sind einzelne Irre, da können wir nicht schuld sein.
Christoph May: Typische Verharmlosungsstrategie rechter Kreise. Ist natürlich bequem, weil man die Männer so pathologisieren und zum Psychologen schicken kann ohne grundsätzlich die Strukturen in Frage stellen zu müssen. Die Männer werden entlastet und können passive Opfer bleiben.
Publik-Forum: Was kann man denn dagegen tun?
Christoph May: Um zu einem neuen Verständnis von Männlichkeit zu kommen, müssen Männer hinein in die Selbstkritik und raus aus ihren männlichen Schweigekulturen. Wir sollten uns Frauen*, Inter- und Transpersonen zum Vorbild nehmen und Diversität leben, wo immer wir können. Solange es keine Weltmeisterschaft für gemischte Fußball-Teams gibt, sehe ich rot. Frauenquoten sollten wir in Männerquote umbenennen: Höchstens dreißig Prozent Männer überall. Dann begreifen wir endlich, wie es sich anfühlt, unterrepräsentiert zu sein.
Publik-Forum: Kann Erziehung etwas ändern?
Christoph May: Geschlechtersensible Pädagogik verändert alles! Wir brauchen Väter, die diese Aufgabe ernst nehmen und emotional präsent sind. Bisher nehmen nur 2,3 Prozent der Männer mehr als 12 Monate Elternzeit. Wenn Sie mal einen Mann mit Kind auf dem Arm sehen, ist höchstwahrscheinlich Sonntag. Zunehmend mehr Männer wollen zwar teilnehmen, werden strukturell aber ausgebremst. Die älteste aller Geschichten kommt nicht von ungefähr: Die ewige Suche nach dem abwesenden Vater von Jesus bis Luke Skywalker.
Publik-Forum: Klingt so, als bräuchten wir vor allem einen langen Atem…
Christoph May: Allerdings, wir zwei werden das nicht mehr miterleben. Die Strukturen aufzubrechen, wird 120 oder 200 Jahre dauern.
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