‚Tomb Raider‘ 2018 | Official Trailer Screenshot

„Du darfst mich nicht anfassen!“

Männlichkeit in ‚Tomb Raider‘ (2018)

Von Christoph May

Nach dem Tod seiner Frau sucht Daddy Croft eine neue „Berufung“ und flieht die Erziehung seiner Tochter Lara für den Mythos einer todbringenden Japanerin. Die junge Lara verliert also Mutter und Vater, was zu Beginn des Films bereits sieben Jahre her ist. Heute ist sie Kickboxerin, schlägt sich als Fahrradkurierin durch und verweigert das Erbe ihres Vaters, weil sie ihn notariell für tot erklären müsste, was sie nicht übers Herz bringt.

‚Tomb Raider‘ eröffnet mit einem illegalen Kurier-Rennen durch London, bei dem ein Haufen Typen erfolglos versuchen, Lara den Fuchsschwanz vom Rücklicht zu reissen. Die HipsterVariante vom Zopfziehen auf dem Schulhof I guess. Als nun plötzlich ein Video ihres Vaters auftaucht – „Wenn du dieses Video siehst, bin ich wahrscheinlich schon tot […] Dad liebt dich […] Ich habe meine Berufung gefunden, ich hoffe, du findest die Deine!“ u.s.w. – bricht sie nach Japan auf, um ihm nachzuforschen.

Lord Richard Croft: „If you see this Video I must be dead“ | Official Trailer Screenshot

Dort begegnet sie dem versoffenen GlücksspielLooser Lu Ren, seines Zeichens Sohn und ebenfalls seit sieben Jahren vaterlos. Daddy Ren hat Daddy Croft damals irgendwohin übergesetzt. Beide verschwunden. „Ich weiß, wo sie hin wollten, unsere Väter!“ Als Lara ihm von der mythischen Königin Himiko berichtet, weiß Lu nichts geistreicheres zu entgegenen als: „Manche Männer stehen auf gefährliche Frauen.“ Lara kontert: „Manche Männer sind dumm.“

Auf die Insel gespült, kurz versklavt und entkommen, wird Lara des nachts von einem kampfgeilen Larry angefallen. Seine letzten Worte: „Hör auf, dich zu wehren!“ Sie killt ihren ersten Mann und sie killt ihn mit bloßen Händen. Daddy Croft, der alte Waldschrat, hält Lara zunächst für eine seiner Halluzinationen und begrüßt sie mit den Worten: „Ich bin nicht verrückt. Ignorier es einfach. Es geht vorbei.“

Den Grabräubern gelingt es schließlich, die beiden Crofts zu überwältigen, Lara öffnet das Grab von Himiko, und auf dem Hindernislauf durch die üblichen Fallen und Rätselkammern weht ihnen eine warnende Böe entgegen. Lara: „Sie atmet noch.“ GrabräuberChefBoss: „Oder es ist der veränderte Atmosphärendruck.“ Sie öffnen das Grab von Himiko und evil Chefboss stellt klar: „Seht ihr, es ist nur eine kleine alte Lady.“

Letzlich – Spoiler! – stellt sich heraus, dass es sich um eine Krankheit handelt, eine schwere Seuche, einen Virus. Und Himiko „war der Überträger, selbst aber immun.“ Frauen werden hier zugleich als Faszination und Fluch imaginiert wie etwa in ‚Die Mumie‘ von 2017.

Princess and MonsterMummy Ahmanet (2017) | Official Trailer Screenshot

Lara fällt jedoch auf, dass sie in den Grabbildern und Inschriften nicht als das Monster dargestellt wird, welches Daddy in ihr sehen wollte. Im Gegenteil. „Sie hat sich selbst geopfert, sie wollte die Welt beschützen.“ Was für eine Überleitung! Denn genau jetzt geschieht das Unvermeidliche jeder Vater-weg-Vater-suchen-Vater-finden-Story: Daddy will seiner Tochter nahe sein und wieder an ihrem Leben teilhaben.

Haaaaaaa, Scherz beiseite: das Unvermeidliche seit Gott im Himmel und ‚Pirates of the Caribbean 5‘ ist natürlich der OpferTod des Vaters. In unserem Fall infiziert sich Daddy Croft mit dem Virus, bindet sich aber noch fix den Arm ab, um ein wenig Zeit zu gewinnen für ein paar abschließende Worte an seine Tochter. Zuerst stellt er ganz unmissverständlich klar: „Du darfst mich nicht anfassen! Ich habe dich gerade erst wiedergefunden.“ Nein Lara! Kein Körperkontakt! Komm mir bloß nicht zu nah! Machen wir es nicht schlimmer als es schon ist!

Und er fährt fort: „Ich habe versucht, dich zu beschützen, aber ich habe unterschätzt, wie mutig du bist.“ Gefolgt von der vielversprechenden Einsicht: „Das war eine andere Zeit und ich war ein anderer Mann.“ Wenn mich dieses dämliche Narrativ von der männlichen Fragilität und der pseudounverschuldeten Opfernummer nicht so nerven würde, täte er mir fast ein wenig Leid. Aber hey, ich habe das Spielchen längst durchschaut.

Willst dich nur wieder aus dem Staub machen, du dummer Idiot. Willst abermals das Weite suchen, um bloß nicht und unter gar keinen Umständen emotional präsent sein zu müssen, teilnehmen zu müssen, Verantwortung zu übernehmen. Kannst du natürlich nichts dafür, nein: Der Virus! Der Mythos! Die Berufung! …es gibt immer was zu tun! Yeah Yeah Yippie Yippie Yeah.

Umso perfider, wenn Lara auf diesem Kampf- und Leidensweg zwar selbst endlich ihre Berufung findet, diese aber kaum von der des Vaters zu unterscheiden ist. Schlussendlich zwingen einem diese abwesenden Väter nämlich nicht nur ihr Erbe auf, sondern auch ihre Indiana-Jones-Berufung. Egal ob Tochter oder Sohn, final wird das dann meist als selbstbewußte Entscheidung übertüncht. Doch sollten wir dieses trügerische Erbe nicht besser ausschlagen?

____________________

Nachtrag: Jemand eine Idee, weshalb erwachsene, vaterlose Töchter wie in ‚Red Sparrow‘ als Spatzen bezeichnet werden? Auch Lara wird von Daddy auffällig häufig so gerufen. Hat das irgendwas mit deren aufgezwungener AgentinnenRolle zu tun?

Nach oben scrollen