Magdalena Meergraf: Sie bezeichnen sich als Männerforscher und beschäftigen sich mit giftiger Männlichkeit. Was ist damit gemeint?
Christoph May: Toxische Männlichkeit beschreibt Machtverhältnisse, Privilegien und strukturelle Gewalt, die durch männliche Schweigekulturen hervorgebracht werden. Von der katholischen Kirche bis Hollywood, von der FIFA bis zum DAX. Überall dort, wo Männer unter sich bleiben, entwickeln sich Monokulturen, die jede Diversität im Keim ersticken, die Gift sind für Geschlechtervielfalt, Gift für die unzähligen Varianten sozialer Beziehungen und Lebensformen. Kritische Männlichkeit wiederum will diese Männerbünde aufbrechen und die Kritik an Männern und Männlichkeit beschleunigen.
Traditionell ist Gesundheit eher Frauensache. Männer sind in Filmen, Werbung & co die unbesiegbaren Draufgänger. Laut Vorsorgestatistiken achten Männer tatsächlich weniger auf sich, sterben früher als Frauen an Krankheiten, die eigentlich zu verhindern gewesen wären. Wo lässt sich ansetzen, um eine Veränderung zu erreichen?
Diese fatalen Folgen emotionaler Sprachlosigkeit werden sich nur verhindern lassen, wenn wir männlich dominierte Schweigekulturen radikal in Frage stellen. Also genau das, was der Feminismus seit mehr als einhundert Jahren macht. Abwesende Väter, übermüdete Workaholics oder beziehungsunfähige Ego-Shooter – wir müssen traditionelle Männerrollen selbstkritisch zur Sprache bringen und aufbrechen.
Verschiedene Kampagnen versuchen derzeit, Männer zur Prostatavorsorge zu bewegen. Da gibt es Aktionen, wo neueste Automodelle vor Krankenhäuser geparkt werden und hinter dem Steuer mit Urologen gesprochen werden kann. Ist das Bedienen dieser Klischees ein guter Ansatz, um Männer anzusprechen?
Klischees zu bedienen, ist wohl niemals eine gute Idee. Es löst ja die Ursache nicht, im Gegenteil: Falls hinter den getönten Scheiben im Maybach ausschließlich männliche Urologen warten, wird dein verschwiegenes Verhalten nur ein weiteres Mal als männerbündisches Privileg belohnt und bestärkt.
Nein, der einzig plausible Ansatz sind Aufklärung, Kritik und Wissenschaft. In meinen Workshops lernen die Teilnehmer*innen deshalb zuerst, wie stark sämtliche Lebensbereiche durch Männerbünde beziehungsweise durch die Abwesenheit von Männern bestimmt sind, und wie sie sich profeministisch engagieren können. Im zweiten Teil sprechen wir über Männerphantasien in Serien, Filmen und Games. So lässt sich gut zeigen, wie nahezu alle Männer von klein auf durch hypermaskuline Kampf- und Gewaltinszenierungen geprägt werden. Denn die männliche Perspektive war trotz ihrer machtvollen Erzählungen von Darth Vader bis Voldemort schon immer sehr eingeschränkt. Ein Batman geht eben niemals zur Prostatavorsorge, auch wenn er es besser weiß.
Berater und Beraterinnen der Österreichischen Krebshilfe erzählen, es seien meist die Frauen, die ihre Männer schicken und die dann widerwillig da sitzen. Warum ist Männlichkeit offenbar so schwer mit dem Achten auf die psychische Gesundheit bzw mit dem Hilfe in Anspruch nehmen vereinbar?
Hilfe anzunehmen und sorgsam mit sich umzugehen, damit tun sich die meisten Männer nicht nur schwer, vielmehr wollen sie unter allen Umständen vermeiden, jemals darüber sprechen zu müssen. Wir haben diese Leugnung, diese Abwehr sogar institutionalisiert und uns darin eingerichtet. Ob beim Fußball, beim Streaming, in unseren Beziehungen oder in der Realpolitik. Vom Business Punk über den Kunstmarkt bis zum Sportverein: Männliche Schweige- und Monokulturen sind für die ganze Gesellschaft schädlich, nicht nur für die eigene Gesundheit.
Blick in die Zukunft: Sind Sie positiv gestimmt?
Gute Laune bekomme ich, wenn ich sehe, wie schnell männliche Bücher, Serien, Filme oder Musik an Bedeutung verlieren, weil sie die intersektionalen und feministischen Basics nicht auf dem Schirm haben. Vieles wirkt deshalb schon nach wenigen Jahren wie aus der Zeit gefallen. Das macht mir Mut, ich will das beschleunigen. Faktische Gleichstellung werden wir beide leider nicht mehr miterleben. Ich kann auch nicht erkennen, dass Männer in relevanter Zahl an feministischen Debatten teilnehmen. Beides stimmt mich traurig, weckt zugleich aber meinen Ehrgeiz, weiterzuforschen, zu bloggen, aktivistisch zu bleiben.
Christoph May über männliche Schweigekulturen | Kurier, 25. April 2020Christoph May über männliche Schweigekulturen | Kurier, 25. April 2020