„Es ist kein Zufall, dass der Täter männlich ist“ Cicero

Trier steht unter Schock. Bei einer Amokfahrt mit einem SUV hat ein Mann in der Fußgängerzone fünf Menschen getötet und 18 verletzt. Männerforscher Christoph May erklärt, warum es fast ausschließlich Männer sind, die solche Gewalttaten verüben.
Cicero – Magazin für politische Kultur

Ein Interview mit Christoph May am 3. Dezember 2020

Herr May, gestern hat ein Mann eine Amokfahrt in Trier begangen. Spielt es eine Rolle, dass es ein Mann war oder hätte genauso auch eine Frau am Steuer sitzen können?

Es gibt weibliche Attentäterinnen, aber das ist selten. Die überwältigende Mehrheit sind Männer. Also ja, Männlichkeit spielt eine entscheidende Rolle.

Woran liegt das, dass Männer diese Mehrheit stellen?

Nun, die meisten Männer wachsen in einer toxischen Umgebung heran. Sie werden in männlichen Monokulturen sozialisiert und sind dort mit einer ungeheuren Sprach- und Fantasielosigkeit konfrontiert, die sie oft nur schwer aufbrechen können. Im seltenen, aber schlimmsten Fall radikalisieren sie sich und nehmen anderen Menschen ihr Leben.

Was ist eine männliche Monokultur?

Überall dort, wo Männer unter sich bleiben, entwickeln sich toxische Monokulturen, die Gift sind für Geschlechtervielfalt, Gift für die unzähligen Varianten sozialer Beziehungen und Lebensformen, Gift für diverse Erzählungen und kulturellen Reichtum. 

Wenn Männer nicht endlich in relevanter Zahl am feministischen Diskurs teilnehmen, nicht auf Frauen, Inter- und Transpersonen zu gehen und vor allem nicht ihre Macht- und Männerbünde hinter sich lassen, blockieren sie alles, was unsere spätmoderne Gesellschaft voranbringen würde. Das betrifft uns alle! Von der kulturellen Armut und Fantasielosigkeit in Männerbünden ganz zu schweigen.

Gibt es Indizien, dass diese Schilderungen auf den Täter von Trier zutreffen?

Zu dem Fall kann ich noch nichts sagen, aber es sind natürlich die gleichen Strukturen, mit denen auch alle anderen Männer aufwachsen. Mit dem Unterschied, dass dieser hier mit 1,4 Promille beschlossen hat, mit seinem Auto auf Menschenjagd zu gehen.

Wäre also jeder Mann zu solchen Taten imstande?

Das hängt wesentlich von den Umständen ab. Männer sind eher gefährdet, sich zu radikalisieren, wenn sie viel Zeit in extremistischen Monokulturen verbringen. Zum Beispiel in „Incel“-Online-Foren (Anmerkung: Incel steht für involuntary celibate, deutsch: unfreiwillig enthaltsam; sie hängen einer frauenfeindlichen Ideologie an). 

Der Sozialpsychologe Rolf Pohl hat in „Feindbild Frau“ gezeigt, dass die Abwertung von Weiblichkeit für die kulturelle Erzeugung hegemonialer Männlichkeit entscheidend ist. Die unzähligen Formen der Misogynie sind bei jedem Mann unterschiedlich stark ausgeprägt. Man muss dazu sagen: Trotz ihrer Medienpräsenz sind extreme Attentate wie dieses von den Zahlen her die absolute Ausnahme.

Spielt der Hass auf Frauen bei solchen Taten eine Rolle?

Frauenhass spielt oft die zentrale Rolle. Veronika Kracher hat viel dazu geforscht und berichtet in ihrem Buch über „Incels“, wie explizit diese Männer von Racheakten gegen Frauen fantasieren. Weil ihnen Liebe und Sex verweigert wird, wünschen sie Frauen den Tod. Sie beobachtet, wie Männer dort oft in eine extreme Opferrolle hineingehen. In diesem konkreten Fall muss man abwarten. Noch gibt es keine Hinweise darauf wie beim Amoklauf in Toronto, Halle und Christchurch.

Sie sprachen bereits von emotionaler Sprachlosigkeit. Gibt es eine Verbindung von Sprache und der Tat in Trier?

Gut möglich, aber ich möchte nicht spekulieren. Der Attentäter von Trier war arbeitslos, obdachlos und Alkoholiker, soviel weiß man bereits. Viele Männer haben Schwierigkeiten, eine ausdifferenzierten Gefühlssprache zu entwickeln. Sie lernen von klein auf, ihre Gefühle zu unterdrücken. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie zu Attentätern werden. Aber wenn man nicht benennen kann, was los ist, kommt schnell die Verzweiflung, die Abwehr, die Sucht.

Und das führt zu solchen Taten?

Nicht allein natürlich, das sagte ich bereits, da muss sehr viel mehr zusammenkommen. Solang wir keine Details kennen, kann ich dazu nichts sagen.

Unsere Gesellschaft geht mit Männern derzeit kritisch ins Gericht. Könnte der Hass mancher Männer auf die Gesellschaft als Trotz zu dieser Kritik an Männern interpretiert werden?

Hier werden Menschen ermordet, das ist weit mehr als nur Trotz. Diese Männer sind keine Kinder. Nein, die sind zum Teil sehr gut international organisiert. Susanne Kaiser zeigt in ihrem Buch „Politische Männlichkeit“ ausführlich, wie Incels, Fundamentalisten und autoritäre Bewegungen für das Patriarchat mobil machen. Wenn Björn Höcke dem deutschen AfD-Mann zuruft: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.“, kommt das direkt aus der sogenannten „Mannosphäre“.

Die Männer dort wollen eine angebliche „natürliche Hierarchie“ wiederherstellen, in dem sie Frauen auf “ihre” nachrangigen Plätze verweisen. Ob als christliche Abtreibungsgegner, Rechtspopulisten oder New-Age-Corona-Leugner. Und das kann schließlich in Gewalt, Hate Speech (Anmerkung: Hassrede, meist in Online-Communities), Rassismus und Neo-Faschismus münden. Klaus Theweleit hat in „Das Lachen der Täter“ die faschistoiden und frauenfeindlichen Manifeste von Breivik und anderen untersucht. Stichwort Körperpanzer.

Wie war der Täter von Trier organisiert?

Bislang ist nur von einer Imbissbuden-Gang die Rede. Wir wissen nicht, ob er darüber hinaus organisiert war. Viele Täter sind auf die ein oder andere Weise in der Mannosphäre engagiert. Wir nehmen sie als Einzelfälle wahr, aber im Hintergrund stehen oft antifeministische Männer- und Väterrechtsbewegungen wie die Alt-Right-Bewegung, Mythopoeten, Pickup-Artists oder eben Incels und viele mehr.

Zum Abschluss die Frage: Denken Sie, dass Taten wie in Trier verhinderbar wären?

Ganz verhindern können wir sie nicht, aber wir können präventiv viel tun. In meiner Arbeit als Männerforscher versuche ich, die Kritik an Männern und Männlichkeiten zu beschleunigen. In Seminaren kläre ich über die strukturelle Gewalt von Männerbünden auf, denn wir müssen dringend über männliche Schweige- und Blockadekulturen sprechen. Die meisten Männer wissen gar nicht, dass sie in männlich dominierten Strukturen leben.

Oder nehmen sie den desaströsen Impact von Männerbildern in Serien, Filmen und Games auf unsere Vorstellung von Männlichkeit. Damit die Männer mir zuhören, spreche ich nicht von Frauenquoten, sondern von Männerlimits. Und ich habe drei einfache Forderungen: Lasst eure Männerbünde hinter euch, gebt eure unverdienten Privilegien ab und engagiert euch für Frauen, Inter- und Transpersonen!

Christoph May ist Männerforscher. 2016 hat er das Institut für kritische Männerforschung gegründet. Er forscht über Männerfantasien in Serien und Filmen und gibt Seminare zu Männlichen Monokulturen.

„Es ist kein Zufall, dass der Täter männlich ist“ Cicero

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