Über die Emanzipation der Frau als Männerphantasie

Von Christoph May

Veröffentlicht im Auslöser #11/2018 und im Cn-Magazin #113 2018/19

Als Männerforscher schreibe ich nicht über Frauen. Und auch als Mann vermeide ich es, über Frauen zu sprechen. Was wissen wir schon? Nach #MeToo ist klar: wir wissen nichts! Weder wie sich Frauen fühlen, noch welche Probleme sie haben. Bevor wir nicht unsere eigene Rolle und unsere Privilegien als weiße, westliche Männer hinterfragen, dürfen wir uns kein Urteil erlauben. “Ich weiß, wie die Frauen ticken!“ war schon immer eine schamlose Lüge. Das Gebot der Stunde: nicht über, sondern mit den Frauen sprechen. Das gilt für Ärzte, Therapeuten und Lehrer genauso wie für Berater, Unternehmer und Filmschaffende. Für kritische Männerforscher gilt es erst recht.

Mein Spezialgebiet ist die enorme Phantasielosigkeit von Männerphantasien in Filmen und Serien. Es beginnt schon beim Personal: Superheroes, Ex-Bullen, Killer-Maschinen und um sich schlagende Testosteron-Prügel. Allesamt Formen der Aushärtung des männlichen Körperpanzers. Vom Man of Steel über Iron Man bis zu Hulk, dem alten Froschkönig. Die Innenschau ist nicht weniger geistlos: Zombies, Mutanten, Monster und Aliens verhandeln das kreatürliche Innere moderner Männlichkeit. Emotionale Sprachlosigkeit wird hier als Gewebewucherung inszeniert oder als Krüppeltier. Von Gollum aus Herr der Ringe über die weißen Wanderer in Game of Thrones bis zum Xenomorph.

Und drittens die hypermaskuline Psychogeographie. Archaische Innenwelten und Gefühls-Steppen soweit das Auge reicht: Von Westeros bis Westworld, durch Mittelerde bis nach Gotham City, von Hogwarts direkt in die Oasis. In meiner Forschung zeige ich, dass es sich bei all diesen Körperpanzern, Kreaturen und Psychogeographien um spezifisch männliche Darstellungsformen handelt. Was uns wiederum in die Lage versetzt, quasi live dabei zusehen zu können, wie traditionelle Männlichkeiten um ihr Überleben kämpfen.

Tag für Tag werden wir also von äußerst wirkmächtigen Männerphantasien überrollt. Ihr Einfluss auf das gesellschaftliche Unterbewusstsein ist massiv. Die traurige Wahrheit: nur zehn Prozent aller Drehbücher werden von Frauen verfasst. Bei Disney, Universal und Paramount schreiben neunzig Prozent Männer. Bei Netflix, HBO und Amazon sind die Zahlen ähnlich. In der Regiearbeit sieht es noch schlimmer aus. Hier liegt der Frauenanteil bei unfassbaren sieben Prozent. In 100 Regiestühlen sitzen nur sieben Frauen. Im Vergleich zu 2015 ist die Tendenz sogar fallend. Wohlgemerkt trotz der #MeToo-Debatte.

„Welcome to our world!“ …in unserer MännerWelt | Bernhard begrüßt Dolores in Westworld, Season 1, Episode 10 (Screenshot)

Wie nun verhält es sich mit den weiblichen Figuren, die nach männlichem Drehbuch inszeniert werden? Meiner Meinung nach müssen sie ebenso als Männerphantasie gelesen werden. Dolores in Westworld zum Beispiel, eine Cowboy-Phantasie von Michael Crichton, in der Männer dafür bezahlen, lebensechte Roboterfrauen wie Dolores zu vergewaltigen und zu töten. Das Perfide dieser Männerphantasie: damit die naive Dolores ein Bewusstsein entwickeln kann, muss ihr Körper wieder und wieder missbraucht und getötet werden. Dreißig Jahre lang nahezu täglich. Also viele tausend mal. Ihre Selbstermächtigung wird hier als die wohl größte Demütigung inszeniert, die man sich vorstellen kann. Die Erzählung der weiblichen Emanzipation aus Männersicht ist stets eine Geschichte des unmenschlichen Kampfes gegen die Männerwelt.

Fury Road (2015): George Miller lässt Furiosa keine andere Wahl, als sich auf Max Rockatansky einzulassen

Um sicherzugehen, dass sie diese Erniedrigung auch bis zum Ende durchziehen, wird Daenerys ein Berater zur Seite gestellt (Tyrion), Rey muss sich mit Finn rumschlagen, Furiosa mit dem gestörten Max, und Wonder Woman – eine Fetisch-Phantasie von William Moulton Marston, der seine Frau erpresst und hintergangen hat – mit Steve Trevor. Wir bekommen hier folglich kein emanzipiertes Frauenbild zu sehen. Nein, die Phantasie- und Traumfrauen werden von Männern flankiert, protegiert und in das Kriegsgeschäft eingeführt. Sie dürfen zwar zuschlagen, sich wehren und töten, doch sogar im Kampf dienen sie nur als Projektionsfläche für die Sex-, Misogynie- und Rachegelüste männlicher Drehbuchautoren. Ob Rey, Jyn Erso oder Mira Killian. Von Daenerys Targaryen über Claire Underwood bis Lara Croft: Man gewinnt so langsam den Eindruck, als sei die Frauenbewegung jetzt Männersache.

Han Solo belästigt und bedrängt Leia (Star Wars): The Predatory Romance of Harrison Ford

Dabei wäre es ein leichtes gewesen, für das Drehbuch von Star Wars eine Frau zu engagieren. Nach Weinstein und #MeToo hätte man sich so deutlich positionieren können. Stattdessen geht die vierte Trilogie an Rian Johnson. Und weil man es plötzlich eilig hat, wird auch die fünfte Trilogie gleich mit vergeben an die Regisseure von Game of Thrones. Bis 2028 (!) also hat Disney jede Chance auf eine Drehbuchautorin vertan. Star Wars bleibt eine Männerphantasie. Gleichberechtigung in Hollywood? Kein Interesse. Und das gilt keineswegs nur für die großen amerikanischen Studios, sondern reicht bis zur Mansplaining-Bastion im Kinder-Kanal aus Erfurt. Die Typen vom Löwenzahn und der Sendung mit der Maus heißen heute Checker. Für Checkerinnen ist bei KiKa kein Platz.

Von Thüringen nach Sachsen. Kurzer Blick in drei aktuelle Drehbücher. Ich habe ein paar sprechende Zitate zusammengestellt, die zeigen, wie Männerphantasien den deutschen Independent-Film bestimmen. Auf der vergangenen Berlinale findet sich unter den Filmen mit sächsischer Beteiligung zum Beispiel die Story von Luz (Tilman Singer). Darin “verwickelt die verführerische Nora“ den Psychologen Dr. Rossini in ein Gespräch. Wie sich herausstellt, ist Nora von einem Dämon besessen, der auf den “ahnungslosen“ Doktor überspringt, damit dieser wiederum die “verwirrte Luz“ hypnotisiert. Der Dämon steckt “unbemerkt“ im Mann und “will mehr“. Den Mann trifft somit keine Schuld. Clever, nicht wahr?

Oder In den Gängen von Thomas Stuber. Hier treibt “Marion von den Süßwaren“ mit Christian “ihre kleinen Scherze“. Als er sich aber in sie verliebt, wird sie “plötzlich krankgeschrieben“ und ist obendrein auch noch verheiratet. “Nicht sehr glücklich“ natürlich. Woraufhin Christian “in ein Loch“ fällt. Armer Christian? Oder jammert die ganze Story in Wahrheit nur darüber, wie hart das privilegierte Männerleben ist? Stichwort: Male Tears. In Whatever happens next von Julian Pörksen lässt der “43-jährige“ Paul Zeise seine Frau zurück, um sich als “Taugenichts, Schnorrer und Hochstapler“ in die “etwas durchgeknallte Nele (29)“ zu verlieben. Und so weiter und so fort.

Fessel- und Fetisch-Phantasie von William Moulton Marston: Wonder Woman

Das Frauenbild im Independent-Kino sächsischer Drehbuchmänner ist genauso sexistisch und klischeebeladen wie die großen U.S.-Produktionen. Die Zahlen und Beispiele zeigen, dass eine unabhängige Finanzierung noch lange keine Gleichberechtigung in den Stories und der Repräsentation garantiert. Bevor wir auch hierzulande nicht von echter Gleichstellung im Phantasie-Business sprechen können, ist das Wort Independent geradezu eine Farce. Wie die Initiative Pro Quote Film erklärt, wird nur “jeder fünfte Kinofilm von einer Frau inszeniert. Filme von Frauen erhalten maximal zwanzig Prozent der gesamten Bundesfördermittel.“ Wir brauchen also schleunigst eine 50%-Quote! Pro Quote Film hat online zehn Forderungen formuliert, um dieses Ziel zu erreichen (proquote-film.de). Zusammengefasst:

“Mehr Frauen vor und hinter der Kamera, damit Geschichten, Sichtweisen und der kulturelle Output von Frauen sichtbar werden!“

Pro Quote Film

Das würde auch wieder Schwung in die Phantasien der Männer bringen. Die älteste und erfolgreichste Top-Story handelt zum Beispiel vom Leidensweg emotional vernachlässigter Söhne auf der Suche nach ihren abwesenden Erzeugern. Von den zwölf Taten des Herkules über das Martyrium Jesu Christi bis zu den Sternenkriegen von Skywalker. Der Weg zu den fernen und schwer beschäftigten Daddies im Olymp, im Himmel oder im Todesstern wird stets als unmenschlich und übermännlich inszeniert. Würden wir hingegen mit emotional integeren, zugewandten und offenherzigen Vätern aufwachsen, könnten wir uns die Mühe sparen. Und genau deshalb plädiere ich für ein positives, selbstkritisches und feministisches Männerbild. Schaut mehr Filme von Frauen, lest mehr Bücher von Frauen und nehmt euch Frauen zum Vorbild! Aber vor allem: redet mit Ihnen und nicht über sie! Dann kommt ihr auch endlich auf neue Ideen.

Frauenbilder nach weiblichem Drehbuch

  • I Feel Pretty / Amy Schumer
  • Orange Is The New Black / Jenji Kohan
  • Sense 8 / Lana und Lilly Wachowski
  • Chewing Gum / Michaela Coels
  • The Good Wife / Michelle King
  • Girls / Lena Dunham
  • The Heat / Katie Dippold
  • 30 Rock / Tina Fey
  • Erin Brokovich / Susannah Grant
  • Saturday Night Live / Kristen Wiig

Auslöser #2 2018

Seite 16-19
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CN-Magazin #113 2018/19

Seite 4-6
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