„Feminismus gibt es genug.“
Die Gender-Theorie ist traditionellen Männlichkeiten wie Jessen und Schumacher um Jahrzehnte voraus
Von Christoph May
Zunächst habe ich chronologisch aufgelistet, wer in Männerspagat zitiert wird. Ergebnis: 67 Männer versus 21 Frauen. Der Frauenanteil liegt folglich bei 34% von möglichen 100. Also drei mal mehr Männer als Frauen
Männer
Björn Süfke, Axel Honneth, Baba Dez Nichols, Thomas Bedürftig, Christoph Kucklick, Sam Altman, Alexander Will, Murray Straus, Sebastian Schwittel, Warren Farrell, Bernd Ulrich, Grayson Perry, Jerry Siegel, Joseph Campbell, Ralf Böhnt, Walter Hollstein, Robert Blum, Herfried Münkler, Christoph Türcke, William S. Pollack, Rafael Treite, Lewis Howes, Michael Kimmel, Jack Urwin, Alexander Gorkow, J. D. Vance, Didier Eribon, Oliver Nachtwey, Stephan Heblich, Robert Gold, Gabriel Bukobza, Rosa von Praunheim, Simon Baron Cohen, Anselm Neft, Franz Eidenbenz, Arnold van Gennep, Masters & Johnson, Faber, Neil Strauss, Peer Briken, Sven Regener, Marc Baumann, Willy Brandt, Jonathan Safran Foer, Daniel Erk, David Deida, Navid Kermani, Richard Nixon, Neil Young, Michael Lukas Moeller, Andreas Reckwitz, Werner Dopfer, Robert Rosenthal, Francois Julien, Robert Redford, Ingo Ahrend, Yuval Harari, Joseph Ravenell, John Aigner, Iggy Pop, Dean Snow, Christopher Ryan, Frank Schirrmacher, Bruce Lyon, Paul Verhaeghe, Mahatma Gandhi
Frauen
Alice Schwarzer, Sybille Berg, Caroline Kebekus, Joanne K. Rowling, Martina Hill, Lydia Benecke, Heike-Melba Fendel, Jen Gunter, Katharina Rutschky, Petra Körpping, Cordelia Fine, Katrin Rönicke, Deeyah Khan, Erica Jong, Ilan Stephani, Julia Kristeva, Monique R. Siegel, Laurie Penny, Judith Butler, Brigitte Röder, Caeilda Jetha
Schaut man genauer hin, fällt auf, dass nahezu alle (!) Männer als „Experten“, „Wissenschaftler“, „Professoren“ und „Forscher“ zitiert werden. Bei den Frauen hingegen sind weniger als die Hälfte Wissenschaftlerinnen, von denen keine einzige als Expertin benannt wird. Die übrigen arbeiten als Regisseurinnen, Kolumnistinnen, Autorinnen, eine ehemalige Prostituierte, Therapeutinnen und drei Komikerinnen.
Der Humor der Komikerinnen/Satirikerinnen Carolin Kebekus, Martina Hill und Sybille Berg wird durchweg als negativ empfunden und beschrieben, obwohl oder gerade weil (?) es sich um Comedy und Satire handelt. MännerKlischeeBullshit Numero Uno: Frauen sind nicht lustig. Über Alice Schwarzer verliert Schumacher nur böses und genervtes. Nicht ein Wort über ihre erstklassige Arbeit als feministische Aufklärerin. Einzig ihre Vorverurteilung von Kachelmann wird sachlich und ausgiebig besprochen und selbstredend scharf kritisiert. Alice Schwarzer also wieder das Feindbild. Ernsthaft?
Die Aussagen von Frauen wie Gal Gadot (Wonder Woman) werden überinterpretiert und als Gift bezeichnet. Ihr Statement „Alle, die keine Feministen sind, sind Sexisten“ nimmt Schumacher wie folgt auseinander: „Begriffe unscharf, steile Behauptung, Täter-Opfer-Story, maximale Aggression – in sieben Worten ist der Graben ausgehoben und der Krieg erklärt. Gal Gadot weiß, wie man die Polarisierungsfalle aufstellt und sofort zuschnappen lässt“. Bei den Männern suche ich vergebens nach derartig waghalsigen und jeden Kontext ignorierenden Interpretationen. Äußerst unseriöse Männerforscher und -rechtler wie Walter Hollstein oder Ralf Böhnt hingegen werden zwar kurz für ihre antifeministischen Positionen kritisiert, später aber völlig unkritisch zitiert und damit rehabilitiert.
Die tollen Texte von Margarete Stockowski werden in AltherrenManier kurz als „hellsichtig“ abgetan. Und Joanne K. Rowling ist nicht die Autorin von Harry Potter und Newt Scamander, nein, ihr gesamtes Werk wird auf einen Twitter-Beitrag reduziert, in dem sie zurecht (!) einem Troll (!!) eine Penisvergrößerung vorschlägt. Was der Troll vorab von sich gegeben hat, wird ausgespart. Schumacher lässt die full Story unter den Tisch fallen und schlägt sich auf die Seite der Trolls. Nicht nur journalistisch ein No Go, sondern krass frauenverachtend, weil vorsätzlich. Soviel zu seinem Antifeminismus, der sich durchs ganze Buch schweelt.
Oft subtil, maßlos relativierend und anbiedernd: Statt sich mit dem Werk von Feministinnen auseinanderzusetzen, sollen wir „Feministinnen lieben lernen“. Wie wäre es zunächst mal mit lesen lernen? Wenn es um Frauen geht, wird also meist deren Person beurteilt, nicht deren Werk. Judith Butler ist folglich „von Beruf Reizfigur“ und ihr „politischer Ansatz ist Hippie-Style: Subversion, Travestie, Parodie.“ Schumachers Geringschätzung und Abwertung ihrer Texte kommt allein schon dadurch zum Ausdruck, dass er ihr Werk als „politisch“ rezipiert und nicht als wissenschaftlich. Man merkt sofort, dass er Das Unbehagen der Geschlechter nicht gelesen, sondern nur gegoogelt hat.
Und dann das: Der „heitere Bitch-Style“ von Laurie Penny „macht mehr
Spass als ihre schwermütigen deutschen Schwestern“. Bedeutet schlicht,
dass Schumacher keine deutschen Gender-WissenschaftlerInnen kennt, nennt
oder gelesen hat, denn: „Feminismus gibt es genug.“ Oder deutlicher
formuliert: seine Meinung über den aktuellen Feminismus stammt einzig
und allein von Männern. Das ist lächerlich, hoch unprofessionell und
alles andere als objektiv. Soviel zu Schumachers Dauerbeschwörung,
schonungslos seine eigenen Privilegien zu hinterfragen: „Das Tückische
an Privilegien ist, dass alle sie sehen, nur die Privilegierten nicht.“
(S. 14) Diese Erkenntnis ist ein geflügeltes Wort von Michael Kimmel,
beinahe schon ein Klassiker. Hat Hajo übernommen, ohne es kenntlich zu
machen, also geklaut und als eigene Idee verkauft.
Schumacher unterschlägt sukzessive jedwede feministische Literatur und Kritik von Wissenschaftlerinnen. Dabei gibt es tausende! Nicht einmal Namen wie Birgit Sauer oder Sylka Scholz tauchen auf. Obwohl er nicht müde wird, ein fröhliches Miteinander einzufordern, betet hier ein männlicher Autor wieder einmal nur seinen ausschließlich männlichen LektüreKanon runter. Full Fail, dieses Buch! Vom fortwährenden Initiations- und Selbstbestärkungsgefasel beim Ziegenschlachten mit dem zwielichtigen John Aigner ganz zu schweigen.
Aigner ist Teil der mythopoetischen Männerbewegung. Demnächst nimmt er an einem sogenannten „Kongress“ teil, der mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun hat. Das archaische, reaktionäre und viel zu oft sexistische Selbstbestärkungsmantra dieser ausschließlich male-panel besetzten Happenings zählt namhafte Antifeministen wie den EsoDoc Rüdiger Dahlke, Pick Up Artists Sven&Martin und diesmal sogar den VerschwörungsGuru Erich von Däniken zu ihren Mitläufern.
Spielt für Schumacher keine Rolle. Stattdessen füllt sich ein
weiteres Tässchen Male Tears mit seinen Worten von der „unfassbaren
Erleichterung für die erschöpfte Männlichkeit, wenn einmal der Satz „Ich
kann nicht mehr“ raus ist“. Oder wie Eva Reisinger für ze.tt einen von
sechzig Teilnehmern einer Mann-Weihe zitiert: „Wenn man Ole fragt, was
sich seit der Initiation in seinem Leben verändert habe, dann zuckt er
mit den Schultern und sagt: „Gar nichts“.“
Okay, die Schilderung des Tantra-Seminars ist der lustigste und beste Bericht, den ich je von einem Tantra-Seminar gelesen habe. War aber schon vor ein paar Monaten als Vorabdruck im SZ-Magazin, der Autor wurde damals als anonym angegeben. Ich hatte Benjamin von Stuckrad-Barre in Verdacht, so kann man sich täuschen. Vom Rest des Buches will ich abraten. Mit einem positiven, selbstkritischen und feministischen Männerbild hat das nicht viel zu tun. Denn Schumacher reproduziert unbewusst genau das, worüber er eigentlich aufklären will.
Bevor sich ein weiterer Mann ans Werk macht, Männern und Frauen seine „Unsicherheit“ (just another AbwehrStrategie) bezüglich der #MeToo-Debatte zu mansplainen, möchte er sich vorher doch bitte Minimum ein paar Monate lang in die laufenden feministischen Diskurse einlesen. Die Gender-Theorie ist traditionellen Männlichkeiten wie Jessen und Schumacher um Jahrzehnte voraus!