Vatikanisches Konzil 1869 mit 744 Männern und 1962 mit 3044 Männern

Kriegernonnen und Kirchenmänner

Macht und Phantasielosigkeit männlicher Monokulturen

In drei neuen Serien zeigen Männer, wie sie sich die Emanzipation der Frau vorstellen: als Geheimoperation abgerichteter und asketischer Kampf-Schwestern im Namen Gottes. Die Realität wird indes beharrlich ignoriert. Strukturelle Gewalt und Misogynie verhindern grundlegende Frauenrechte in Kirche und Glauben.

Essay von Christoph May | Erschienen im Mantis Magazine am 21. September 2020

Tief unter dem Vatikan in Rom liegt Nekropolis, die Stadt der Toten. In der ersten Season von Warrior Nun kämpfen sich Ava und ihre Schwestern vom OKS, dem Orden des kreuzförmigen Schwertes, bis in die Gruft des Adriel vor, der hier vor 1000 Jahren weggesperrt wurde und einfach nicht sterben will:

Adriel: “Ava, ich hab mich so allein gefühlt.”
Ava: „Dieses Gefühl kenn ich gut.“

Kurzfassung: Sie war ihr halbes Leben lang querschnittsgelähmt, wurde ermordet und ist vor kurzem wieder auferstanden von den Toten, weil jemand einen Heiligenschein aus Divinium-Stahl in ihrem Rücken versenkt und versteckt hat. Einen männlichen Heiligenschein! Aus glühendem Gottschrott! In ihrem Rücken! Warrior Nun ist die Männerphantasie des Comic-Zeichners Ben Dunn. Was auch der Grund dafür ist, dass ich mich als männlich sozialisierter Zuschauer problemlos mit ihr identifizieren kann. Doch der Heiligenschein trügt: Starke Frauen und Emanzipation werden hier in Wahrheit nach männlichem Drehbuch inszeniert.

Adriel: „Wir müssen nicht mehr allein sein.“
Ava: „Ich will den Kreislauf stoppen, durch den Mädchen wie ich von mächtigen Männern benutzt, missbraucht und dann weggeworfen werden. Von der Kirche.“
Adriel: „Wir bekämpfen den selben Feind, du und ich.“
Ava: „Und du willst bestimmt deinen Heiligenschein zurück.”

Kurz googeln, ob die Vatikanstadt tatsächlich über einer Totenstadt erbaut wurde. Yep, true, laut Wikipedia befindet sich direkt unter den Grotten des Petersdoms die Vatikanische Nekropole, eine römische Begräbnisstätte. Petrus soll hier liegen, einer der Bropostel aus dem Old Boys Club um Jesus. Moment – darf Wikipedia überhaupt als Quelle dienen, wenn die Beitragenden zu 91 Prozent Männer sind? Männlich dominierte Monokulturen müssen als hoch unglaubwürdig gelten, was die Wissensproduktion angeht. Ihre Repräsentationsmacht verhindert unweigerlich diverse Beiträge, diverse Faktenlage, diverse Geschichtsschreibung. Von 774.000 deutschsprachigen Biographien auf Wikipedia sind 84 Prozent Männer! Diese strukturelle Gewalt von Männerbünden bringt kulturelle Armut und enorme Abwehr hervor, aber ganz sicher kein vielfältiges Wissen.

Weit übertroffen wird Wikipedia diesbezüglich durch die jahrtausendealte, hypermaskuline Monokultur des Christentums. Weshalb vergangenes Jahr in Deutschland so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten sind wie nie zuvor: 270 Tausend Katholiken und 270 Tausend Protestanten (2019). Bei 44 Millionen deutschen Christen dauert es in dem Tempo noch etwa 80 Jahre bis zur vollständigen Auflösung. Es sei denn, die künftigen Kirchen- und Papstmänner sprechen sich auf ihren Synoden weiterhin so beharrlich und überzeugt gegen die Frauenordination aus und für das Zölibat. Stichwort: Unfehlbarkeit. Dann sollte es hierzulande deutlich schneller gehen.

Je schleppender zudem die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, desto schwerer der Vertrauensverlust, ergo mehr Austritte. 3677 Kinder und Jugendliche sind von 1670 Klerikern missbraucht worden, so eine aktuelle Studie für Deutschland, in der anonymisierte Fragebögen (!) ausgewertet wurden. Bis heute gibt es keine unabhängige Kommission, die konkrete Täter beim Namen nennt. Bistümer und Ordensgemeinschaften verweigern den Zutritt zu ihren Archiven und schützen die Täter vor Strafverfolgung. Besser ließe sich die Macht von männlichen Schweige- und Blockadekulturen wohl kaum zeigen. Transparenz? Träum weiter! Oder in den Worten der Forscherin und Unternehmerin Dr. Jillian Salvius aus Warrior Nun:

“Die Hölle ist ein Konstrukt, dass von Männern geschaffen wurde, um damit die Massen zu unterwerfen. Besonders die Frauen. […] Die Kirche verkauft nur Träume. Es wird Zeit, dass jemand die Realität verkauft.”

Junge Männer haben genau deshalb keine Lust mehr auf Priester- und Pfarrämter. Die älteren hingegen sprechen sich weiterhin für umfassende Untersuchungen aus, um herauszufinden, weshalb so viele Menschen austreten. Ernsthaft? Weil 21. Jahrhundert, Feminismus, Singularisierung, Klimawandel, Kapitalismus, Autoritarismus, Rassismus usw.?! Oder wie wir es nennen: die Wirklichkeit. Wir wollen uns von toxischen Macht- und Monokulturen nicht länger für dumm verkaufen lassen. Zumal ‘umfassende Untersuchung’ oft nur der männerbündische, vorwiegend katholische Kirchen-Euphemismus für Verschleppung, Leugnung und Abwehr ist.

Misogynie bildet nicht nur das Fundament von Kirchen und Wikipedia, sondern auch der Filmindustrie. Bei den Drehbuchautor:innen in Hollywood schreiben 80 Prozent Männer (Smith, Choueiti, Choi, Pieper 2018). Und die haben aktuell so richtig Lust auf Kriegernonnen. Und Star Trek. Und auf Captain Picard. Ja, der lebt noch. Nein, das ist kein CGI (Computer Generated Imagery). Ja, er hat jetzt einen Ziehsohn. Der kleine Elnor wird von romulanischen Kampfnonnen erzogen. Deren zentralen Glaubenssatz beschreibt Picard wie folgt:

“Sie gehen den Weg der unbedingten Offenheit: Das bedingungslose Mitteilen von Emotionen ohne jeden Filter zwischen Gedanke und Wort.”

Star Trek ist eine Männerphantasie von Gene Roddenberry. Und es hat nur 700 Episoden, 13 Kinofilme und 54 Jahre gedauert, bis sich diese Monokultur von ihren beiden Role Models für emotionale Sprachlosigkeit und absolute mentale Disziplin verabschiedet: Commander Data und Commander Spock. Um sogleich zwei neue Antipoden an deren Stelle herbei zu phantasieren: die Androidin Doctor Soji Asha und eben romulanische Kampfnonnen, die Qowat Milat.

Picard: „Datas Fähigkeiten, Gefühle auszudrücken und zu verarbeiten, waren begrenzt. In dem Punkt waren wir uns ähnlich.“

Wird Picard also seine letzte Chance nutzen, um die unsägliche Trope des abwesenden Vaters zu durchbrechen? Wird little Elnor mit einem emotional integren und präsenten Ziehdaddy aufwachsen, der bedingungslos all seine Emotionen mit ihm teilt? Ja, da kommt er auch schon angeflogen und liest ihm aus den drei Musketieren vor. Sie fechten, spielen und lachen miteinander. Elnor himmelt ihn an, legt den Kopf an seine Schulter, vertraut ihm. Doch plötzlich wird der Mars angegriffen, Picard muss sofort los. Ohne sich zu verabschieden. Und kehrt 14 Jahre lang nicht zurück.

In einer dritten Männerphantasie von Seth Lochhead und David Farr werden 30 elternlose Mädchen in einem Top Secret Regierungsprogramm zu Kampfmaschinen mit Fake-Identitäten ausgebildet. Phase Eins des geheimen Frauen-Experiments zwang die Mädchen in ein völlig isoliertes Leben ohne jede Zuwendung. Ihre Emotionen wurden 15 Jahre lang durch Pillen unterdrückt, keine Außenwelt, keine Natur. Soziale Kontakte waren strengstens verboten und wurden durch blecherne Befehle aus Lautsprechern ersetzt. In der zweiten Season von Hanna, die Anfang Juli released wurde, beginnt sogleich die zweite Phase des Programms, das sogenannte “Sozialisierungstraining”. Der Leiter schwärmt wie folgt von seinem Plan:

John Carmichael: “Sie leben in der realen Welt, ganz normal und ruhig. Wir müssen nur auf einen Knopf drücken und sie tun, was immer wir wollen. Keinerlei Verbindung zu uns. Ich meine, wer würde schon vermuten, dass eine achtzehnjährige Schülerin eine Mörderin im Staatsauftrag ist?”

Das unfreiwillig enthaltsame Leben der abgerichteten Killer-Girls im hellblauen Trainingsanzug verweist hier direkt auf die Kriegernonnen-Trope. Es dauert allerdings drei Episoden, bis sie die Bibel dann tatsächlich auch in die Hände bekommen:

Jules: “Warum liest du das?”
Helen: “Du hast gesagt, es wär gut.”
Jules: “Es ist Scheisse. Es ist ein beschissenes phallozentrisches Drecksbuch.” […]
Sandy: “Glaubt ihr eigentlich an Gott?”
Jules: “Gott ist ein menschliches Konstrukt.“
Helen: “Was bedeutet das?”
Jules: “Dass er bloß eine Idee ist.”
Helen: “Und woher weißt du, dass er ein Mann ist?”
Jules: “Weil die Gott erfunden haben, die Männer.”

Nicht nur Gott, sondern auch dessen Widersacher Satan. Wie sich in Warrior Nun wenig überraschend herausstellt, ist Adriel kein Engel, sondern der Teufel höchstpersönlich. Und er will noch immer seinen Heiligenschein zurück, obwohl er den Menschen auch ohne das Ding weit überlegen ist. Nicht im geistreichen Sinne überlegen, sondern eher so im Zombie-Dämonen-Gewaltorgien-Sinne. Bevor Father Vincent als rechte Hand des Teufels auffliegt, erinnert er sich vage (!) an einen historischen Deal:

Schwester Mary: “Pater, haben sie davon schonmal gehört?“
Pater Vincent: “Das habe ich: Ein Pakt mit dem Teufel, damit die Menschen der Kirche treu bleiben. Solange es Dunkelheit auf der Welt gibt, wenden sie sich auf der Suche nach Licht an uns. Ich wollte es erst nicht glauben.“

Wie lange hat es doch gleich gedauert, bis das Institut der Englischen Fräulein und Seligen Jungfrau Maria vom Vatikan anerkannt wurde? Nur 394 Jahre? Wenden sich also Schwestern und Nonnen wie Mary Ward “auf der Suche nach Licht” an ihre jesuitischen Kirchenbrüder, schleppt sich die umfassende Untersuchung dazu gern mal über vier Jahrhunderte. Wikipedia spricht hier nebenbei bemerkt von “weiblichem Gegenstück”, “langem Bemühen” und “gestattet”.

Und wie viele Jahrzehnte gelang es der katholischen Kirche, die Aufarbeitung des Missbrauchs in irischen Magdalenenhäusern zu verhindern? Ich erwähne das hier, weil die Investigativjournalistin Nicola Clough in Hanna darauf zu sprechen kommt und ich kurz gegenchecken wollte, ob die Story fiktiv ist. Woraufhin ich den ganzen Tag damit zugebracht habe, mich über die verheerenden Zustände in den sehr realen Heimen zu informieren, von denen ich bisher nichts gewußt habe. Die Geschichte der Verschleppung und Behinderung verschiedener Untersuchungen durch Kirche und Regierung zeigt eindrucksvoll, wie mächtig Schweige- und Blockadekulturen wirken.

Nicola Clough: “Es war eine Recherche zu den irischen Magdalenenhäusern. […] Junge, irische Frauen, meist aus armen Verhältnissen – entweder Prostituierte oder schwanger außerhalb der Ehe, andere auch nur verstoßen von ihren Familien – wurden in diese von der katholischen Kirche unterhaltenen Häuser eingesperrt und niemals wieder rausgelassen. Sie wurden misshandelt, missbraucht, die Lebensbedingungen waren unmenschlich. Einigen Frauen wurden die Babys weggenommen und sie haben sie nie wieder gesehen. Viele sind dort gestorben und wurden in anonymen Gräbern beigesetzt.”

Wie lange wird es also diesmal dauern, bis der Männerbund die Forderungen von Maria 2.0 nicht einfach nur zur Kenntnis nimmt, sondern tatsächlich umsetzt? Frauen in allen Ämtern, Pflichtzölibat aufheben, Missbrauchsfälle aufklären – Maria 2.0 fordert die demokratischen Mindeststandards für Gleichstellung und gegen Machtmissbrauch. Oder wie es Carolin Kebekus kürzlich formuliert hat:

“Die Kirche geht den Bach runter und da stehen schlaue, hochintelligente, studierte Frauen voller Liebe für ihre Kirche und wollen einfach nur helfen, dürfen aber nicht. […] Ich hoffe, dass Frauen die Kirchen stürmen und sie zu neuem Leben erwecken. Und da in der Kirche ja gerne viel gesungen wird, habe ich ein Kirchenlied dazu gemacht.“

Kebekus hatte bereits 2013 ein Video zum Thema produziert, dass vom WDR dann aber kurzfristig aus dem Programm genommen wurde, weil der öffentlich-rechtliche und nach wie vor männlich dominierte Sender keine religiösen Überzeugungen verletzen will:

Nachtrag: Anfang des Monats hat Disney Mulan neu aufgelegt. Die Story basiert auf einem chinesischen Volksgedicht aus dem fünften Jahrhundert, in dem Mulan zu einer großen Kriegerin wird, weil sie als Mann getarnt in die Armee einzieht. Kathleen Hildebrand in der Süddeutschen dazu:

„Die neuseeländische Regisseurin Niki Caro und die Drehbuchautoren haben also einiges am Plot geändert. Die Liebesgeschichte zwischen Mulan und ihrem Kommandanten, die im Trickfilm subtil mitlief, wurde gestrichen – nach „MeToo“ soll Disney bei einer so asymmetrischen Romanze nicht mehr ganz wohl gewesen sein. Stattdessen funkt es ein wenig (wirklich nur ein ganz klein wenig) mit einem hübschen Kameraden. An Heirat ist aber nicht zu denken, die neue Mulan ist eine Kriegernonne.“

Quellen

Vatikanische Nekropole
Frauen in der Wikipedia
Warum das Männerproblem bei Wikipedia so tief sitzt
MHG-Studie zu sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz
„Wer hat wo welche Übergriffe begehen können? Das beantwortet die Kirche nicht.“
Immer weniger Männer in Deutschland wollen Priester werden
„Sorry, Papst, sorry, Kurie!“
“Umfassende Untersuchung”
Weltweiter Mitgliederzuwachs im Christentum
Inclusion in the Director’s Chair: Gender, Race and Age of Directors Across 1,200 Top Films from 2007 to 2018 – Smith, Choueiti, Choi, Pieper
“Weibliches Gegenstück” des Jesuitenordens
Der Frauenorden Congregatio Jesu
Maria 2.0
Offener Brief und Forderungen von Maria 2.0
Magdalenenheime

Mulan: Sei ein Mann

Nach oben scrollen