Zoten, Sprüche, Herrenwitze – Die Seximusdebatte

Anke Plättner im Gespräch mit Sawsan Chebli (SPD), Christoph May (Männerforscher), Birgit Kelle (Legionärin Christi, Antifeministin) und Wolfgang Bosbach (CDU, CSU, Katholik)
Transkript, Screen- & Reactionshots der Phoenix Runde am 22. September 2020 im ARD-Hauptstadtstudio Berlin

„Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen Monaten ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben.“ Diese Bemerkung von FDP-Chef Lindner sorgt für Empörung. Zwar hat er sich bei der ehemaligen Generalsekretärin Linda Teuteberg entschuldigt, aber dennoch hagelt es in den sozialen Medien Kritik: „Chauvinismus par excellence“, „Es ist besser, nicht Witze zu machen, als falsch Witze zu machen.“ oder „#MissionAltherrenwitz statt MissionAufbruch.

Erinnert wird auch daran, dass Christian Lindner schon vor Jahren mit der Bemerkung „Ich bin heute Morgen wach geworden mit Claudia Roth.“ für Schlagzeilen gesorgt hat. Auch die sexistische Äußerung von FDP-Mann Rainer Brüderle gegenüber einer Journalistin ist noch in Erinnerung. Wie verbreitet ist die Diskriminierung von Frauen? Ist die Politik noch immer eine Männerdomäne? Braucht es einen anderen Stil in der Politik?

Christoph May: „Also ein Altherrenwitz ist zunächst mal keine Banalität, sondern solche Aussagen sind sexistisch. In dem Moment, wo er’s gesagt hat, war’s sexistisch. Nach meinem Eindruck hat er’s sich zurechtgelegt, er hat’s wiederholt, er ist ein Sexist in dem Augenblick. Ich finde, man muss jede sexistische Aussage von Männern absolut skandalisieren. Gerade jetzt in Zeiten nach #MeToo. Ich denke, was sich vor allem zeigt, ist, dass sich hier Abgründe auftun. Auch in Bezug auf Lindner und Merz. Und diese Abgründe sind struktureller Natur …“

Christoph May: „Worauf ich hinaus will ist: Dass er im Grunde in seiner männlich dominierten Partei eine strukturelle Geschichte wiedergibt. Das heißt, die Gründe dafür, dass er so spricht, liegen tiefer. Ich hab das kurz rausgesucht: Der Männeranteil in der FDP und der CSU liegt bei 79 Prozent. In der CDU bei 74 Prozent. Bei der AFD, Männeranteil 83 Prozent.“

Anke Plättner: „Bei den Mitgliedern.“

Christoph May: „Bei den Mitgliedern. Und wenn sie in so einer männlich dominierten Kultur aufwachsen, dann reproduzieren Sie das. Dieser Frauenhass, dieser immanente, den Sie verinnerlicht haben, der wird einfach nur reproduziert. Nach zwanzig Jahren FDP …“

Anke Plättner: „Eigentlich alle Parteien sagen, wir müssen die Frauen fördern. Frau Chebli, Sie sind eine junge Frau, die in der SPD einen starken Aufstieg gemacht hat, Karriere gemacht hat, jetzt auch weiterhin, in den Bundestag will. Würden Sie sagen (…) für Frauen gibt es doch wahnsinnig viele Möglichkeiten?“

Sawsan Chebli: „Wir sind in Deutschland insgesamt, nicht nur in der Politik, aber auch in der Politik, ganz weit weg von Chancengleichheit. Wenn Sie sich das Parlament anschauen, dann ist es immer noch so, dass die Parteien nicht paritätisch besetzt sind. Deswegen fordere ich ganz klar ein Paritätsgesetz. Ich möchte eine Quote durchsetzen. Wenn Sie sehen, wie die Lage in Führungspositionen in unserem Land ist, wir sind eines der am weitesten entwickelten Länder der Welt und trotzdem sitzen zu wenig Frauen in Führungspositionen (…) Das, was Herr May hier anspricht, das ist struktureller Sexismus, den wir angehen müssen. Warum kann jemand so etwas sagen? Was für ein Klima herrscht da vor?“

Anke Plättner: „Wird Ihnen weniger zugetraut, weil Sie eine Frau sind?“

Sawsan Chebli: „Ja, auf jeden Fall. Ich habe mit ganz anderen Stereotypen, mit ganz anderen Vorurteilen … Ich erlebe auch eine Gemengelage aus Sexismus und Rassismus, die extrem ist. Nicht nur in den sozialen Medien, sondern ich bekomme Briefe, ich bekomme Mails. Ich erlebe eigentliche jeden Tag Sexismus in meinem Alltag.“

Anke Plättner: „Herr May, wenn Sie das hören, Herr Bosbach sagt, (…) bei mir hat sich noch nie jemand beklagt. Ist es nachzuvollziehen, dass sich Frauen auf jeden Fall beklagen würden, wenn sie ein Problem hätten?“

Christoph May: „Ich bin Männerforscher, ich würde gerne nicht über Frauen sprechen. Ich denke, wir haben hier ein Männerproblem. Herr Bosbach möchte, dass ich das konkretisiere, ich bin der Wissenschaftler in der Runde, dann habe ich hier eine Zahl für Sie: 91 Prozent der Gemeinden und Städte in Deutschland werden von Männern geführt. Also es gibt mehr Bürgermeister, die Thomas heißen, als Bürgermeisterinnen. Die Wirtschaft blockiert Gleichstellung seit Jahrzehnten. 80 Prozent aller deutschen Unternehmen werden ausschließlich von Männern geführt. Und in den deutschen Medien ganz genauso, in den Regionalzeitungen besonders krass, hier kommt auf 10 Männer nur eine Frau.

Wir brauchen auch keine Frauenquoten. Wenn wir von Frauenquote im Feminismus sprechen, dann fühlen sich Männer – meiner Erfahrung nach, in meinen Workshops – nicht angesprochen, sie denken, das hat nichts mit mir zu tun. Ich rede hier gern von Männerlimits. Wir müssen hier Limits setzen. Wir müssen dafür sorgen, dass Männer ihre Männerbünde aufbrechen, diese Männerbünde überhaupt erkennen und diese strukturelle Gewalt im Grunde, dafür sind Männer verantwortlich, nicht Frauen.“

Anke Plättner: „Ja, wobei auch Frau Chebli eben sagt, ist es nicht so, dass der größte Teil der Männer Sexisten sind.“

Christoph May: „Das ist strukturell, das muss man nicht persönlich nehmen, toxische Männlichkeit ist eine strukturelle Geschichte, die ich jetzt hier nicht persönlich nehmen muss. Aber ich reproduziere das in meinem privaten Alltag. Egal ob ich mit meinen männlichen Freunden in die Kneipe gehe. Ich reproduziere das, wenn ich das nicht aufbreche, bis hin zum Fußballverein. Bis hin zum Kinderzimmer meines Sohnes, der keine weiblichen Vorbilder an der Wand zu hängen hat auf seinen Postern.“

Sawsan Chebli: „Der Fall Lindner zeigt ganz deutlich, dass den meisten Männern gar nicht bewusst ist, wenn sie sexistische Bemerkungen machen und dass dieser unterschwellige Sexismus da ist, ohne dass ich ihn jetzt (als) Sexisten bezeichnen würde. Das ist ganz häufig so, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Sexismus inzwischen Alltag ist für viele Frauen. Sexistische Anfeindungen, sexistische Bemerkungen, Und viel Frauen schlucken das runter, sagen nichts, schweigen (…) Dieser Fall zeigt, dass wir wegkommen müssen von der Einzelfallbetrachtung von Sexismus hin zu der Frage: Wie können wir eigentlich Männer einbinden? (…) Alleine schaffen wir Frauen das eben nicht.“

Anke Plättner: „Herr May, was müsste man tun, damit Herrn Lindner sowas gar nicht mehr passiert?“

Christoph May: „Wir müssen diese Männerbünde aufbrechen. Wir müssen Männern überhaupt erstmal ins Bewusstsein rufen, dass sie sich in diesen männlichen Monokulturen bewegen…“

Anke Plättner: „Männerbünde klingt negativ, aber Frauensolidarität wäre was, was positiv wäre?“

Christoph May: „Wo sind die Männer, die sich für Frauenrechte einsetzen? Ich kann das nicht sehen, dass sich Männer in relevanter Zahl seit 2017, seit #MeToo, an der Feminismusdebatte beteiligen, wo sind? Warum stehen die Männer hinter Lindner, in dieser männlich dominierten Partei, nicht auf und protestieren dagegen, was er gesagt hat?“

Anke Plättner: „Das hätten sie sich gewünscht?“

Christoph May: „Natürlich, das finde ich ganz selbstverständlich.“

Sawsan Chebli: „Ich glaube, das ist wirklich ein Knackpunkt. Wir Frauen werden diesen Kampf allein nicht gewinnen, sondern es kann nur in Solidarität und gemeinsam mit den Männern gehen, wenn wir diese Herausforderung überhaupt gemeinsam in den Griff bekommen möchten.“

Anke Plättner: „Wenn sie sagen Kampf, dann klingt das so, als wollten sie Männer gegen Frauen in Stellung bringen? Das meinen sie aber nicht?“

Sawsan Chebli: „Nein, überhaupt nicht, es geht doch nicht um einen Kampf der gegen den, sondern es geht darum, das wir gemeinsam am Ende das Beste in diesem Land erreichen, und zwar, dass Frauen gleich Rechte haben und das sollte selbstverständlich sein, dass wir darüber diskutieren. Dass Frauen immer noch um Gleichberechtigung kämpfen in einem Deutschland, ich mein, das ist irgendwie schon auch ein Armutszeugnis.“

Christoph May: „Aber diese männlichen Monokulturen, die halten dicht, das sind Schweigekulturen, das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Das sind Blockadekulturen. Die blockieren im Grunde alle Bewegungen, die hier gerade stattfinden und unsere Gesellschaft voran bringen.“

Sawsan Chebli: „Zu sagen, dass Herr Bosbach und die Mehrheit der Männer natürlich keine Sexisten sind, dass Komplimente Komplimente sein können und nicht alles gleich Sexismus ist, ist doch das eine. Aber das komplett zu negieren und zu sagen, ich darf die Männer nicht alle unter Generalsverdacht stellen, weil ich von strukturellem Sexismus rede, ist ja das andere.“

Christoph May: „Friedrich Merz verkörpert eine ganz, ganz starke traditionelle Männlichkeit, konservative Männlichkeit.“

Anke Plättner: „Ist das etwas Negatives?“

Christoph May: „Ja, ich würde schon sagen, dass das etwas Negatives ist. Es ist zumindest etwas total aus der Zeit Gefallenes, es ist was Reaktionäres. Und ich finde auch, um darauf zurückzukommen, wie Herr Bosbach gerade reagiert hat, dass er alles relativiert, dass man nichts mehr sagen darf […] Ich erlebe, dass, wenn Männer in diese Abwehrposition gehen, dass sie dann in eine Opferhaltung gehen, die ihnen gerade nicht zusteht und die sie nicht einnehmen müssen. Ich finde, Männer müssen raus aus dieser Opferhaltung. Männer müssen überhaupt keine Angst haben vor gar nichts. Sie sollten bitte teilnehmen an dem Diskurs und sich mehr informieren.“

Anke Plättner: „Was wäre für Sie, Herr May, ein Gradmesser, wann etwas sexistisch oder diskriminierend ist? Ist es die Empfindung desjenigen, der es hört?“

Christoph May: „Der einzige Gradmesser dafür muss sein, dass sich Herr Spahn hier angegriffen gefühlt hat. Und dass das (…) standardisierte heteronormative, weiße, westliche Männlichkeitsdinge sind, die da zusammen geführt werden. Herr Merz ist in einer absoluten Machtposition, musste das nie in Frage stellen. Und plautzt da mit seinen Privilegien in die Debatte rein und dominiert das. Sexismus, Rassismus, Misogynie, also Frauenhass, geschlechtsspezifisches Lohngefälle, Pay Gap, Care Gap, das sind alles Dinge, die einzig und allein damit zu erklären sind, dass hier Männer in ihren Männerbünden sind und ihre Macht halten wollen und das nicht aufbrechen.“

Anke Plättner: „Aber jetzt schmeißen Sie auch alle älteren, weißen Herren in einen Topf.“

Christian May: „In diesem Fall ja, weil ich hier erlebe gerade, dass das relativiert wird, was Herr Spahn dort empfunden hat und damit kann ich nicht d’accord gehen. Ich finde, der Zusammenhang ist absolut klar und das ist einfach das Letzte, was Herr Merz da gesagt hat.“

Sawsan Chebli: „Ich bin wirklich dafür, dass wir Debatten differenziert führen und nicht ständig in Extrempolen agieren. Und ich finde auch, dass die Diskursfähigkeit dadurch wirklich schwierig wird und ich erlebe das ja selber, wenn ich was sage, wie sofort jeder draufspringt und sofort ein Shitstorm entsteht. Aber es gibt einfach Dinge, die gehen einfach so nicht. Das hat nichts mit einem verschärften Diskurs oder mit eine Unfähigkeit der Abstraktion oder der Differenzierung zu tun. Das, was Herr Merz gesagt hat, geht nicht. Und Herr Spahn hat das auch als beleidigend empfunden. Ich finde, das ist schon wichtig. Und das ist schon auch ein Gradmesser dafür. Wenn ich als Frau Sexismus erlebe und der Mann mir sagt, naja, das war nicht sexistisch, aber ich hab das als sexistisch erlebt, dann ist das natürlich ein Gradmesser dafür wie die Bewertung am Ende zu folgen hat.“

Anke Plättner: „Wie kriegen wir es hin, dass wir alle wertschätzend miteinanderer umgehen?“

Christoph May: „Männer müssen selbstkritisch ihre eigene Rolle infrage stellen, Männer müssen an der Care-Arbeit teilnehmen, Männer müssen sich beteiligen am feministischen Diskurs …“

Anke Plättner: „Ja, was heißt das?“

Christoph May: „Na, dass sie sich für Geschlechtergerechtigkeit engagieren müssen, dass sie für Frauenrechte eintreten.“

Anke Plättner: „Da sagt Frau Kelle, das können die Frauen selber, da brauchen wir die Männer nicht.“

Christoph May: „Natürlich brauchen sie die Männer nicht, ich will auch Frauen nicht sagen, was sie tun sollen, aber ich will den Männern sagen, dass sie selbst nur gewinnen können, wenn sie diese Monokulturen aufbrechen, weil, was ich erlebe hier seit dreißig Jahren, ich finde es superschade, dass ich in ganz vielen männlich dominierten Subkulturen und Umgebungen aufgewachsen bin, die eine kulturelle Armut hervorgebracht haben, die sich nur noch im Kreis dreht. Ich habe mehrere Jahre versucht, den Fokus in Lektüre, Film, Serien auf weibliche Protagonistinnen zu legen, auf Frauen, auf Drehbuchautorinnen etc. und mein Blick auf die Welt ist ein komplett anderer.“

Anke Plättner: „Ich glaube, nur sieben Prozent der Filme und Serien werden weiblichen Regisseurinnen gedreht.“

Christoph May: Genau, der Impact von Hollywood, HBO, Netflix, Amazon, die Männerbilder, was uns tagtäglich um die Ohren gehauen wird, das sind zu 90 Prozent Drehbuchautoren. Wir bekommen hier männliche, meistens christlich dominierte Geschichten erzählt vom abwesenden Vater, vom Leidensweg des Sohnes etc. Darth Vader. Das sind Sachen, die wir aufbrechen müssen, da müssen wir was ändern.“ […]

Eine Zahl dazu, wenn ich das noch einfügen darf, ist, dass nicht mehr als 2,5 Prozent aller Väter mehr als 12 Monate Elternzeit nehmen.“

Birgit Kelle: „ja, na und?“

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