Männerforscher Christoph May fordert: „Männerlimits statt Frauenquoten“ Donaukurier
May spricht über „toxische Männlichkeit“ und seinen Workshop mit Beate Diao beim Fem*Festival
Interview von Anja Witzke / 19.01.2023 Donaukurier
„Wann ist der Mann ein Mann?“, fragt Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Männer“. Eine Antwort darauf könnte vielleicht finden, wer den Workshop besucht, den der Männerforscher Christoph May und die Künstlerin Beate Diao im Rahmen des neuen Fem*Festivals in Ingolstadt anbieten.
Um „toxische Männlichkeit“ geht es in diesem „Aussteigerprogramm für Einsteiger“. Denn Christoph May ist überzeugt: „Männlich dominierte Gewalt-, Schweige- und Blockadekulturen verhindern alles, was die Welt voranbringen würde: Klimaschutz, Diversität, intersektionaler Feminismus, soziales Engagement und so vieles mehr.“ Warum sich der Workshop ausdrücklich an alle Geschlechter (ab 15 Jahren) wendet, erklärt May im Interview.
Anja Witzke: Herr May, warum sind Sie Männerforscher geworden?
Christoph May: Es gab kein Aha-Erlebnis, es war eher ein Prozess. Ich habe lange nicht gemerkt, wie sehr ich selbst in männerbündischen Umgebungen sozialisiert wurde. Meine Schulzeit verbrachte ich in einem evangelischen Internat. Die Bibelgeschichten sind alle sehr männlich dominiert. Und ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Chor Werke von Komponistinnen gesungen haben. Parallel dazu bin ich in die Berliner Graffiti-Szene eingetaucht – eine sehr männlich dominierte Szene. Damals war mir das nicht bewusst, heute denke ich kritisch über diese Szene. Etwa 95 Prozent Männer. Immerhin: Wenn ich heute zu Graffiti-Festivals eingeladen werden, dann möchten die teilnehmenden Frauen, dass ich mit den Männern darüber spreche, wie die das Problem lösen können.
Witzke: Sie haben Literaturwissenschaft studiert. Auch der Kanon ist sehr männlich
May: Da hat sich bis heute wenig verändert. Studentinnen zitieren in ihren wissenschaftlichen Arbeiten immer noch vor allem Männer. Aber all das ist erst nach und nach in mein Bewusstsein gedrungen. Als ich meine Abschlussarbeit über das Buch „Deutschboden“ von Moritz von Uslar schrieb, in dem ein Popkulturjournalist in das brandenburgische Outback fährt und sich mit den Einwohnern verbrüdert, habe ich zum ersten Mal über Männlichkeit im Suff nachgedacht, über die Abwesenheit von Frauen und wie überhaupt über Frauen gesprochen wird. Ich habe mich mit Büchern wie Klaus Theweleits „Männerphantasien“ und „Die imaginierte Weiblichkeit“ von Silvia Bovenschen beschäftigt. All das führte dazu, dass ich zusammen mit meiner Partnerin, der Schriftstellerin Stephanie May, 2016 das Institut für kritische Männerforschung gründete.
Witzke: Was machen Sie da?
May: Wir werden vor allem angefragt für Vorträge über Grundsätzliches: Worum geht es bei kritischer Männlichkeit? Was bedeutet toxische Männlichkeit? Wieso ist strukturelle Ungleichheit in Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien für Männer oft ein blinder Fleck? In diesen Vorträgen kratzt man naturgemäß oft nur an der Oberfläche. In Workshops und Seminaren kann man intensiver einsteigen.
Witzke: Was ist denn „toxische Männlichkeit“?
May: Überall da, wo Männer unter sich bleiben, entwickeln sie Monokulturen – egal ob in Wirtschaft, Politik, Kultur oder Wissenschaft. Und das ist nicht nur Gift für Geschlechtervielfalt und alle Arten von Beziehungen, sondern auch für unseren kulturellen Reichtum. In ihrem Festhalten an traditionell männlichen Denk- und Verhaltensweisen – ob im Job, beim Sport oder beim Medienkonsum – zeigen diese Männer ein destruktives Verhalten, das schädlich für sie selbst und für andere ist. Man muss ihnen vor Augen führen, was sie dabei verpassen.
Witzke: Sind in Ihren Workshops nur Männer?
May: Mir ist es sehr wichtig, dass wir alle Geschlechter mit im Raum haben: männlich, weiblich, inter, trans, nicht-binär. Das sind die Geschichten, die gehört werden müssen. Wir wollen Männern zeigen, dass sie zuhören und sich mit anderen Lebensrealitäten auseinandersetzten sollen. Meine Aufgabe liegt nicht nur darin zu zeigen, wie man als feministischer Mann lebt. Bei der Geschlechtergerechtigkeit geht es auch viel um Kritikfähigkeit.
Witzke: Viele Veranstalter haben das Problem: Wenn sie Feminismus oder Gleichstellung auf die Flyer schreiben, dann fühlen sich Männer gar nicht angesprochen. Sind denn nicht die, die kommen, sowieso schon für das Thema sensibilisiert?
May: Richtig. Wir müssen direkt rein in die Männerbünde. Am Anfang haben vor allem linke Gruppen Interesse gezeigt. Die, die die Wichtigkeit des Themas erkannt hatten. Die Geschlechtergerechtigkeit leben. Die das auch in der Sprache umsetzen. Aber mittlerweile kommen auch viele Unternehmen hinzu, die gemerkt haben, dass es einen Perspektivwechsel geben muss. Vor wenigen Tagen habe ich eine Anfrage von einem Ultra-Verein aus Duisburg bekommen. Die Ultra-Szene im Fußball ist ja eine sehr männlich dominierte Szene – und sie haben das als Problem erkannt. Mit der katholischen Kirche arbeiten wir öfter zusammen. Gerade bei den junge Katholiken scheint sich eine neue Generation zu formieren, die ein großes Problem mit der Schweigeblockade hat, die Regenbogenfahnen hisst, ein Sternchen hinter Gott setzt und überhaupt nicht das Bild der katholischen Kirche repräsentiert, das man aus den Medien kennt.
Witzke: Wie schwer ist es, in diese Männerbünde reinzukommen?
May: Das Problem ist, dass Männerbünde sich in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit getriggert fühlen. Überall wo sie eine männlich dominierte Umgebung haben, stellen sich die Männer quer. Die haben keine Lust auf „Awareness“ (Achtsamkeit, Sensibilität für gewisse Problematiken, Anm. d. Red.) oder auf den feministischen Diskurs. Aber wir haben mittlerweile eine Bildsprache gefunden, bei der sich die Männer herausgefordert fühlen. Und viele Männer kommen einfach in die Seminare, um zu gucken: Was will der überhaupt?
Witzke: Sie propagieren „Männerlimits statt Frauenquoten“. Was sagen die Männer dazu?
May: Wir haben 6000 Jahre Patriarchat hinter uns. Auf der ganzen Welt profitieren Männer von früh bis spät von ihren Privilegien. Wenn wir sie auffordern, Macht abzugeben oder ihre Gewaltstrukturen infrage zu stellen oder überhaupt mal kritisch über Männlichkeit zu sprechen, ist das natürlich heikel. Da ist man erst mal mit Abwehrstrategien konfrontiert. Da heißt es schnell: „Ja, aber nicht alle Männer…“ Oder auch das „Mansplaining“, dieses herablassende Besserwissen von Männern gegenüber Frauen in Besprechungen. Als Moderator muss ich dafür sorgen, dass diese Strategien nicht die Runde dominieren und Kritik so formulieren, dass die Männer nicht gleich angepisst aus dem Raum rennen. Wichtig ist, den Männern klar zu machen: Wenn sie da aussteigen, können sie nur gewinnen. Es ist absurd zu glauben, Feminismus und Frauenquoten seien Frauensache.
Witzke: Wie wird der Workshop in Ingolstadt aussehen?
May: Wir haben es so aufgeteilt, dass ich zunächst Inputs gebe – und das durchaus unterhaltsam. Ich arbeite viel mit Bildern aus Filmen und Serien, mit Memes und Statistiken und spreche mit den Teilnehmenden beispielsweise darüber, was sie für Filme schauen, welche Musik sie hören, wo sie Sport treiben. 90 Prozent aller Drehbücher bei Disney, Netflix, HBO und Amazon werden von Männern geschrieben. Wir reden viel über Männerbilder. Beate Diao wird das künstlerisch begleiten. Wir wollen Collagen gestalten, die dann auch ausgestellt werden. Und darauf sind dann vielleicht auch Männerbilder, die in den Medien überhaupt nicht vorkommen. Beispielsweise: Werden Männer in Care-Arbeit überhaupt dargestellt? Oder: Was sind die typischen Männerbilder im Stadtmarketing von Ingolstadt?
Witzke: Was wäre denn Ihre Utopie für ein gerechteres Miteinander?
May: Nach wie vor haben in den oberen Etagen hauptsächlich Männer das Sagen. 91 Prozent unserer Städte und Gemeinden werden von Männern geführt. In den Chefredaktionen deutscher Regionalzeitungen sitzen 92 Prozent Männer. Vielleicht sollte man auf dieser hierarchischen Ebene den Anteil der Männer mal auf 30 Prozent runterfahren. Vielleicht wäre es gut, wenn Männer Minderheitenpositionen selbst durchleben würden. Ich finde, dass Männer alles sein dürfen, was sie sein wollen, aber auch 100 Prozent Hausarbeiten leisten und an der Care-Arbeit teilnehmen sollen. Kinder sollten mit emotional integeren Vätern aufwachsen, die ihnen vorleben, wie sie Arbeit und Familie vereinbaren. Und: Ich will Männer auf der Straße sehen, die für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen.
ZUR PERSON:
Christoph May, Jahrgang 1979, ist Männerforscher, Berater und Dozent. Er hat 2016 gemeinsam mit der Schriftstellerin Stephanie May das Institut für kritische Männerforschung gegründet mit dem Ziel, die feministische Kritik an männlichen Monokulturen und toxischer Männlichkeit zu beschleunigen. Infos: https://detoxmasculinity.institute
Donaukurier Männerforscher Christoph May fordert: „Männerlimits statt Frauenquoten“
03. – 12.03.2023 – FEM*FESTIVAL Ingolstadt
Vom 3. bis 12. März wird zum ersten Mal das FEM*FESTIVAL Ingolstadt stattfinden, ein Kooperationsprojekt von Gleichstellungsstelle und Kulturamt. Das FEM*FESTIVAL geht aus den Ingolstädter Künstlerinnentagen „Der Oktober ist eine Frau“ hervor. 25 Jahre lang warfen diese ein Schlaglicht auf Stellung und Werk von Frauen in Kunst und Kultur.
Fem*Festival Programm
VERNISSAGE Ausstellung „Die berühmten Frauen der Banknoten“ von Maria Odilia Ostertag Allwicher
KUNSTKOLLEKTIV DIE VILLA (Performative Kunst zum Thema Equal Pay)
FOUR WOMEN (Pop, Jazz)
FR 03.03.2023 19:00 Uhr Kulturhalle P3
Eintritt frei
MIT SCHIRM, CHARME UND ROTER TASCHE
Aktion „Rote Taschen und Schirme“ & Speakers Corner zu Equal Pay
SA 04.03.2023 12:00 Uhr Rathausplatz
Eintritt frei
LADIES CRIME NIGHT (Lesung)
SA 04.03.2023 20:00 Uhr Harderbastei
WALLIS BIRD (Rock, Pop, Irish Folk)
SO 05.03.2023 20:00 Uhr Kulturzentrum neun
„DER LANGE WEG ZUR GLEICHSTELLUNG. Bürgerliche, soziale und politische Rechte für Frauen in Deutschland“ (Vortrag von Dr. Ulrike Haerendel)
TRIO COLLEGIUM VENTO – WOODWINDS OF MUNICH (Klassik)
DI 07.03.2023 19:00 Uhr Kulturhalle P3
Eintritt frei
Starke Stimmen – starke Songs: Der Internationale Tag der Frau bei Radio IN
Geplant: Radio IN präsentiert stündlich Musik, Storys und Porträts von Musikerinnen aus der Region
MI 08.03.2023, Beginn ab 06:00 Uhr
GELIEBT UND VERACHTET. KUNST UND SKANDAL.
Eine Rose für die „Fleißer“ und Vortrag im Marieluise-Fleißer-Museum
MI 08.03.23 18:00 Uhr Marieluise-Fleißer-Museum
Eintritt frei
„SO ODER SO – HILDEGARD KNEF“
Victoria Voss und Benedikt Streicher (Chanson)
MI 08.03.2023 20:00 Uhr Neue Welt
„RÄUME BESETZEN UND STRUKTUREN AUFBRECHEN“
(Podiumsdiskussion, Moderation: Caro Matzko)
DOTA (Duo, Pop)
DO 09.03.2023 19:00 Uhr Neue Welt
Eintritt frei
Kooperation mit Weltenklang
MARI BOINE (Joik, Folk)
ANNA & SVITLANA SONYK (ukrainische Volksmusik)
FR 10.03.2023 20:00 Uhr Kulturzentrum neun
TANZWORKSHOP mit Thea Sosani
SA 11.03.2023 11:00 – 14:00 Uhr Tanz- und Kulturwerkstatt
Für Teilnehmende im Alter von 16 bis 55 Jahren
Nur mit vorheriger Anmeldung unter: urbankultur@ingolstadt.de
Workshopgebühr: 15 Euro (diese wird am Tag des Workshops bar bezahlt)
KUNSTWORKSHOP „Toxische Männlichkeit“ mit Christoph May und Beate Diao
SA 11.03.2023 14:00 – 19:00 Uhr Harderbastei
Für Teilnehmende ab 15 Jahren
Nur mit vorheriger Anmeldung unter: urbankultur@ingolstadt.de
Workshopgebühr: 5 Euro (diese wird am Tag des Workshops bar bezahlt)
„I’M YOUR MAN“ Clara Schwinning und Matthias Flake (Late-Night-Musikrevue)
SA 11.03.2023 21:00 Uhr Neue Welt
SOSANI TANZTHEATER „Muses“ mit anschließendem Künstlerinnengespräch
SO 12.03.2023 20:00 Uhr Kulturhalle P3