Mannomann!
Moderne Männer, wo seid ihr? Rabiat Reportage
08. Oktober 2020, 15 Uhr Y-Kollektiv
12. & 13. Oktober 2020, 22:50 Uhr / 04:45 Uhr Das Erste
Ich freue mich über die Reportage von David Donschen & über die Reichweite. Bin ihm sehr²³ dankbar für sein Vertrauen, seine Fragen, seine Ehrlichkeit. & natürlich für die Gelegenheit, zweidrei Punkte als Männerforscher mit einbringen zu dürfen. Mir gefallen seine zweifelnden Nachfragen, die Selbstkritik, wie unvoreingenommen & offen er sich auf die Menschen einlässt, denen er begegnet. Finde das Rabiat-format okay kritisch und entertaining zugleich. Ich hoffe, er nimmt mich mal zu einem Spiel von Eisern Union mit, weil ich – kein Scherz – noch nie in einem Fußballstadion war.
Inhaltliche Kritik Ich finde es schade, dass David dem mythopoetischen, männerbündischen & sehr oft antifeministischen Eisenhansbusiness um John Aigner so viel Raum schenkt (ich hatte ihm meine Kritik daran in die Kamera gesprochen, ist aber leider nicht mit drin). Der moderne Mann sieht anders aus. Muss anders aussehen. Die Antwort auf die Frage im Untertitel der Ankündigung auf ARD – „Moderne Männer, wo seid ihr?“ – lautet leider: nicht in dieser Reportage.
Wir sehen einen Ex-Nazi, einen Stammtisch von ‘Mannsvolk’ (Aigner), einmal Ringen im Tiergarten (Aigner) & ein Männercoaching (Aigner). Der einzige, dessen Name auch Programm ist, scheint mir Patrick Neumann zu sein. Er wirkt reflektiert & liebenswert unprätentiös. Seine Augenringe zeigen, dass er es ernst meint. Durch die Perspektive von Kerstin Neumann wird klar, dass sein Einsatz selbstverständlich sein sollte. Man muss ihn dafür nicht feiern, das kommt gut rüber. Im vergleich zu den gesamtgesellschaftlichen Standards repräsentiert er eine moderne, weil noch immer singuläre Vaterrolle.
Die übrigen Männer sind zwar bestenfalls “auf dem Weg zu sich selbst” (Youtube-Titel), aber mehr auch nicht. Sie stellen ihre Männlichkeit nur soweit in Frage, wie es sich eben gut anfühlt. Um dann völlig unkritisch dem hochproblematischen, archetypischen New-Age-Gedöns von Aigner zu folgen. Hier hätte man unbedingt erwähnen müssen, dass sich die Mythopoetenszene vor allem aus antifeministischen Pickup Assholes, Männer- und Väterrechtlern rekrutiert. Wir erfahren nahezu nichts über strukturelle & institutionelle Gewalt. Es geht einzig um Selbstbestärkung, Wohlgefühl & Berührungsängste im „Safe Space“ von Männerbünden. Frauen, Inter- & Transpersonen hätten hier sehr viel fortschrittlichere und intersektionale Positionen beitragen können.
Das nächste mal bitte einfach die pro_feministische Vernetzungs- & Supportgruppe (for all gender) aus Berlin anfragen. Die sind den Eisenhanseln um Jahrzehnte voraus. Props an Euch btw, tolle Arbeit, genauso muss das !! Ihr habt längst verstanden, dass es nicht darum geht, eine neue Männlichkeit auszurufen. Solang wir nicht jedwede männliche Monokulture aufgebrochen und hinter uns gelassen haben, können wir schlicht nicht wissen, was der neue Mann sein soll. Und falls uns das jemals gelingen wird, gibt es keinen Grund mehr, darüber nachzudenken.
Viele (kritische) Männergruppen sitzen dem Irrtum auf, erstmal viel emotionale Arbeit & Selbstkritik leisten zu wollen, bleiben unter ihresgleichen, öffnen sich ein wenig, toben, raufen, kuscheln gern, bissl Meditiaon, zurück in die Natur, fühlt sich gut an. Ein physischer & psychotherapeutischer Ansatz, der in den meisten Fällen nicht professionell begleitet wird. Naheliegend? Oder einfach nur eine neue Abwehrstrategie? Ein weiteres Riesen-Täuschungsmanöver, um ja bloß niemals ever die männerbündischen Strukturen aufbrechen zu müssen?
Ziemlich ausgefuchst, zugegeben. But no, please, just don’t. Männlichkeit muss nicht therapiert werden. Toxische Männlichkeit ist nichts pathologisches. Die Strukturen sind das Problem, unsere Männerbünde, unsere Repräsentationsmacht, männlich dominierte PolitikWirtschaftBildungSportKultur, UnternehmenInstitutionenIndustrien & VerbändeVereineGruppen: die geballte Übermacht männlicher Monokulturen. Obendrein hängt die Latte für „neue“, spätmoderne Männlichkeiten viel zu tief, wenn es schon genügt, kein Nazi mehr zu sein, 50% an der Care-Arbeit teilzunehmen oder sich unter Männern wohlzufühlen.
Wir müssen so viel mehr tun & so viel wichtigeres !! Ich sags mal in Hashtaggish für eure Instas, Shirts & Kühlschrankmagnete:
#leaveyourboysclub
#breakmalesilence
#fightmalemonocultures
#detoxmasculinity
Thanks for your read.
Statement zum Q&A Unsere emotionale Sprachlosigkeit zu überwinden kann ein Anfang sein. Das weitaus größere Problem jedoch ist die strukturelle & institutionelle Gewalt von Männern. Genau wie David sagt, Männliche Mono-, Schweige- & Blockadekulturen aufzubrechen wird DIE Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Parallel zum Klimawandel natürlich.
David Donschen: „Wie ist es zum Beispiel, wenn wir uns aus diesen Männerbünden herausbegeben und wenn wir uns öffnen, nicht nur mit Männern Zeit zu verbringen, sondern mit Frauen, mit diverseren Freundeskreisen und verschiedene Perspektiven uns auch anschauen zum Beispiel in dem wir Literatur lesen, die nicht nur von Männern geschrieben ist. Das ist, was ich aufzeigen will, es geht nicht darum, Männlichkeit zu verteufeln. […] Aber ich glaube schon, dass wir eben schauen müssen, dass es um strukturelle Probleme geht, die mit falschen Rollenvorstellungen einhergehen. […] Wir Männer müssen Verantwortung übernehmen, als Väter, als Freunde, wir müssen gucken, wie verhalten wir uns und wann ist auch das Verhalten von Kumpels, von Kollegen, von männlichen Verwandten nicht angebracht und da gegensteuern.“
Mannomann!
Moderne Männer, wo seid ihr? Rabiat Reportage
Der deutsche Mann ist auf der Suche – nach sich selbst. Feminismus, #Metoo und aufbrechende Rollenbilder stellen in Frage, was für die Herren der Schöpfung lange Zeit selbstverständlich war. Die Radio Bremen-Reportage „Rabiat: Mannomann! Moderne Männer, wo seid ihr?“ von David Donschen geht den Fragen nach: Wann ist der Mann ein Mann? Und wie bekommen wir Männer es endlich hin, uns nicht mehr selbst im Weg zu stehen?
Männerforscher: „Toxische Maskulinität schadet unserer Gesellschaft“
„Fangt endlich an, euch zu reflektieren!“, fordern nicht nur Demo-Teilnehmerinnen am internationalen Frauentag in Berlin. „Rabiat“-Reporter David Donschen versucht genau das und lädt Christoph May zu sich nach Hause ein. Gemeinsam mit dem Männerforscher geht er sein Bücherregal durch und stellt fest: Nicht einmal 30 Prozent seiner Literatur ist von Frauen geschrieben. Wie kann das sein? Eigentlich dachte David Donschen von sich, nicht alles durch die Männer-Brille zu sehen. Die Arbeit an der Radio-Bremen-Reportage lässt ihn daran zweifeln. „Wir Männer müssen uns endlich öffnen für die Probleme und Perspektiven von Frauen und queeren Menschen“, fordert der Forscher und Aktivist May. Für ihn steht fest: „Toxische Maskulinität schadet unserer Gesellschaft.“
Das Leben von Philip Schlaffer ist davon mehr als zwei Jahrzehnte geprägt gewesen. Schlaffer war führender Neonazi in Norddeutschland. Im Fitness-Studio sieht man die Tattoos aus Schlaffers früherem Leben. Überall auf seinem Körper prangen Nazi-Symbole und Wehrmachtssoldaten. „Ich musste meine Männlichkeit immer unter Beweis stellen. Am Ende war ich bereit zu töten“, gesteht er.
Das Bild des allseits starken, hypermaskulinen Mannes – wie präsent ist es noch in unserer Gesellschaft? Bei einem Stammtisch in Berlin treffen sich Männer, die mit mythologisch angehauchten Coachings versuchen, moderne, selbstbewusste Kerle zu sein. Die einhellige Meinung hier: „Wir Männer sind nicht alle Täter. Aber wir müssen wegkommen vom Stereotyp des allzeit starken, unemotionalen Mackers.“ Helfen Männerkreise wie dieser Stammtisch dabei? Oder sind sie Teil des Problems?
Mangel an positiven Vorbildern
Fest steht: In der Gesellschaft fehlen die positiven Vorbilder. Eine Erfahrung, die auch der Ex-Nazi Philip Schlaffer in seiner Jugend macht. Gerade in der Pubertät, in der er Halt gebraucht hätte, ist sein Vater selten zu Hause. „Ich hätte mir damals einfach Zeit mit ihm gewünscht.“ Enttäuscht wendet sich Schlaffer von seiner Familie ab. Im Rechtsrock findet er Trost. Das Bild des kampfbereiten Vaterlandverteidigers gibt ihm Halt. Immer tiefer rutscht Schlaffer in die Szene. Am Ende ist er Gewalttäter und Rockerboss.
Wie viel Kraft es kosten kann, die Vaterrolle wirklich zu leben, zeigt Patrick Neumann. Neumann steht jeden Morgen um 5 Uhr auf, um pünktlich eine Stunde später an seinem Schreibtisch zu sitzen. Er macht das nicht für die Knete oder Karriere, sondern für seine Kinder und seine Ehefrau. Neumann versucht nämlich, Erziehung, Haushalt und Arbeit mit seiner Frau Kerstin paritätisch aufzuteilen. „Das ist anstrengend, aber am Ende tut es allen in unserer Familie gut“, sagt der Rechnungsprüfer. Allerdings stellt die Corona-Pandemie Patrick und seine Ehefrau Kerstin vor neue Herausforderungen bei ihrer gleichberechtigten Ehe.
Moderne Männer braucht es nicht nur in Sachen Erziehung. „Rabiat“-Reporter David Donschen ist sich sicher: Nur wenn wir es schaffen, die männlichen Rollenklischees zu verlassen, werden wir gesellschaftliche Probleme lösen. Ein Männer-Coaching soll ihm dabei helfen. Doch er zweifelt, ob das gelingt, als er mitten im Winter nur in Unterhose im Berliner Tiergarten steht und mit einem anderen Mann ringen soll. Am Ende des Coachings erlebt David Donschen dann allerdings einen wahren Erweckungsmoment.
Ein Film von David Donschen / „Rabiat“ ist eine Produktion der Sendefähig GmbH (Manuel Möglich, Dennis Leiffels und Christian Tipke) im Auftrag von Radio Bremen für Das Erste 2020.