Christoph May: „Es reicht nicht, sich die Fingernägel anzumalen“ dieStandard

Christoph May hält Workshops in Sachen kritische Männlichkeit. Die Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski, und der Männerforscher über langweilige männliche Monokulturen und darüber, dass es auch nichts bringt, über Gefühle zu sprechen
Interview mit Beate Hausbichler für dieStandard / Veröffentlicht am 13. Dezember 2023
Christoph May ist Männerforscher, Berater und Mitbegründer des Instituts für Kritische Männlichkeitsforschung. Auf Einladung der Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski, hielt May im Rahmen der „16 Tage gegen Gewalt“ einen Vortrag über toxische Männlichkeit in Wien. Der Männerforscher und die Frauenpolitikerin im Doppelinterview.

AUSZUG
Disoski:
 Das erlebe ich auch als Abwehr. Zum Beispiel bei gesetzlichen Rahmenbedingungen für gleiche Karenzzeiten und einer fairen Aufteilung der Care-Arbeit. Das ist in Österreich nur schwerdurchsetzbar, weil es sehr starre Rollenbilder gibt. In den skandinavischen Ländern ist man da viel weiter. Ein Umdenken oder Umverteilen ist mit enorm viel Widerstand und Abwehr verbunden, und es hält sich die Ansicht: Es ist gut so, wie es ist, weil es für einen Teil der Gesellschaft gut so ist und deswegen soll es immer so sein. […]

May: Auf jeden Fall. Wenn du als Vater nicht vorlebst, dass du einen weiblichen, queeren Freundeskreis hast, dass du ganz selbstverständlich mit Frauen und queeren Menschen auf Augenhöhe redest, ohne sie zu sexualisieren und zu objektivieren; wenn Kinder nicht mit Vätern aufwachsen, die selbstverständlich Sorge- und Hausarbeit machen und die Karriere der Partnerin unterstützen, dann werden die Kids das später auch nicht machen. Es reicht nicht, sich die Fingernägel anzumalen. […]

May: Ich halte die männlichen Emotionsdiskurse für problematisch. Ich versuche in meinen Workshops zu vermeiden, dass Männer über ihre Gefühle sprechen. Gefühle zu zeigen ist schon wichtig, aber wenn das nicht in eine Kritik an den Strukturen eingebettet ist, wenn wir nicht parallel über Patriarchat und Feminismus sprechen, dann ist es ein sehr mächtiger Abwehrdiskurs. Die österreichische Politologin Birgit Sauer hat mal geschrieben, das Patriarchat gibt uns gerade das Gefühl, dass sich alle öffnen und über Gefühle sprechen – dass sich dadurch aber die herrschenden Strukturen noch verstärken. Die vielen Männercoaches oder die Annahme, dass Männlichkeit therapiert und geheilt werden kann – das ist gefährlicher Unsinn.

Disoski: Selbst wenn Männer vulnerabel und emotional sind, bringt das nichts, solange die patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft dieselben bleiben. Das mag vielleicht für eine Paarbeziehung oder einer freundschaftlichen Beziehung besser sein, aber die systematische Benachteiligung ändert sich dadurch nicht. Wenn man sagt, Familien sollen selbst entscheiden, wie sie sich Care-Arbeit aufteilen, wird sich nichts ändern. Immer dort, wo es keine gesetzlichen Regulatorien gibt, bleiben die Dinge so, wie sie sind. Wir müssen uns die gesellschaftlichen Verhältnisse anschauen und Wege, wie wir es schaffen, mit politischen Rahmenbedingungen Änderungen herbeizuführen. Ein Bild von der Klimakonferenz zeigt einmal mehr die Machtverhältnisse: Zu sehen sind fast nur Männer – erst ganz hinten erkennt man Ursula von der Leyen. Dabei sind Frauen von der Klimakrise stärker betroffen als Männer. Frauen sollten mindestens so stark repräsentiert sein.

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