Vorreiter für eine neue Männlichkeit? Zum 30. Geburtstag von Harry Styles Deutschlandfunk
Der Männlichkeitsforscher Christoph May im Corsogespräch mit Christoph Reimann
01. Februar 2024, 15:05 Uhr Corso: Kunst und Pop / Deutschlandfunk
Christoph Reimann Hallo! Der erste Februar 2024 ist ein besonderer Tag, denn heute wird Harry Styles 30 Jahre alt. Ich hätte ja gedacht, dass er schon viel älter sein müsste. Aber das liegt vielleicht auch daran, weil sein Leben einfach in diesen 30 Jahren schon so voll war, dass es für mehrere gereicht hätte. Also er war Castingshow-Teilnehmer, er war ein Boy in einer der erfolgreichsten Boybands überhaupt, One Direction. Aber vor allem natürlich kennen wir ihn heute als Solokünstlern und Superstar, an dem man einfach nicht vorbeikommt. Einer, der sich eben auch die Fingernägel lackiert, der sich in Frauenkleidern ablichten lässt und damit eben auch auffällt, abgesehen von seiner Musik. Also ist Harry Styles Vorreiter eines neuen Männerbildes? Darüber sprechen wir heute im Corso-Podcast mit Christoph May. Christoph May gibt Seminare und Workshops über kritische Männlichkeit und betreibt das sogenannte Institut für kritische Männerforschung. Hallo zum Corso-Gespräch.
Christoph May Hallo Christoph Reimann, schön, dass ich hier sein darf, hi.
CR Also, wie würden Sie denn das Männerbild von Harry Styles beschreiben?
CM Ja, er repräsentiert fluide Geschlechterbilder. Er repräsentiert eine queere Männlichkeit. Er will sich da auch gar nicht festlegen. Obwohl die Gesellschaft immer wieder herkommt und versucht, ihn festzulegen.
CR Wie manifestiert sich diese queere Männlichkeit bei Harry Styles? Ist es mehr, als sich jetzt mal in einem Kleid ablichten zu lassen?
CM Ja, es repräsentiert sich auf der Bühne. Er sorgt dafür, dass seine Backgroundsängerinnen divers aufgestellt sind, divers im Geschlecht, divers im Alter. Sein Publikum ist nicht nur vorwiegend weiblich, sondern auch zunehmend männlich. Aber er spricht natürlich vor allem eine jüngere Generation an. Wir haben hier glaube ich auch einen Generation Gap, das heißt bei der älteren Generation muss auch die Frage sein, wie sind die noch bereit sich umzustellen auf queere Männlichkeiten und auf fluide Männlichkeiten.
CR Wie würden Sie dieses Männerbild, das Harry Styles repräsentiert, beurteilen?
CM Er repräsentiert alles, was Männer sein können. Männer können alles sein, was sie sein wollen heutzutage. Ich kann gar nicht verstehen, warum sie nicht losstürmen wie Harry Styles und das alles ausprobieren. Mit den Kleidern, mit Fingernägeln und so weiter. Es reicht natürlich nicht, sich die Fingernägel anzumalen, sondern man muss das schon auch vorleben. Wir müssen vorleben – wie Harry Styles – wie wir als Väter, als Männer diverse Freund:innenkreise haben, diverse Kolleg:innenkreise, dass wir ohne Probleme mit Frauen und queeren Menschen unseren Alltag bestreiten. Ohne sie zu sexualisieren oder zu objektivieren und so weiter. Und das ist das, was Harry Styles hier zeigt. Die Musikindustrie allerdings ist extrem männlich dominiert, da sollten wir uns nichts vormachen.
CR Sie haben gerade gesagt, Sie verstehen gar nicht, weshalb die jungen Männer nicht alle losstürmen und es Harry Styles nachmachen, gleich machen, zum Beispiel mit der Kleidungswahl. Ein bisschen passiert das ja aber doch, oder? Diese Oma-Perlenketten, die junge Männer von heute tragen, oder die Fingernägel, die sie sich anmalen. Also da passiert doch etwas. Hat Harry Styles doch etwas wie eine Vorbildfunktion?
CM Auf jeden Fall. Vor allem auf jüngere Menschen natürlich, aber auch auf Ältere wie mich. Ich bin jetzt 44. Es gibt eine aktuelle Studie, die gezeigt hat, dass Jungs immer konservativer werden, immer reaktionärer, dass nur die Mädchen immer liberaler und progressiver werden. Die kam vor ein paar Tagen raus. Also die Repräsentationsmacht von queeren Männlichkeiten, die ist noch nicht so weit, dass man das irgendwie messen könnte. Gesamtgesellschaftlich gesehen werden Männer konservativer und da spielen dann eher andere Männerbilder eine Rolle, wie Andrew Tate, ein ungemeiner Frauenhasser, der einen enormen Einfluss auf TikTok hat und so weiter. Wo dann alle plötzlich überrascht sind, wie viel Reichweite der hat und dass es der zweitgegoogelste Mann letztes Jahr war und dass der vor allem junge Männer erreicht.
CR Wie erklären Sie sich diese Polarisierung? Also auf der einen Seite gibt es natürlich Vertreter einer queeren Männlichkeit, würden Sie sagen, und auf der anderen Seite ein sehr konservatives Männerbild.
CM Ja, Susanne Kaiser ist so die Männerforscherin in Deutschland, die da viel zu macht und die spricht mittlerweile auch von einem Backlash, den man auch deutlich zeigen kann. Also sie spricht über die neue Gewalt gegen Frauen. Die häusliche Gewalt ist im letzten Jahr in Deutschland um 10 Prozent gestiegen. Allein dieses Jahr wird ja entscheidend. Wir sollten zunehmend Faschismus und Männlichkeit zusammenbringen. Konservative Parteien sind männlich, die AfD ist krass männlich, die FDP 80% Männer. Wir müssen uns als Männer klar machen, dass wir immer noch in einer sehr männlich dominierten Welt leben. Und dieses Jahr ist entscheidend für diese Backlash-Männlichkeit. Also Trump, Putin, you name it. In Deutschland die Wahlen, das wird zeigen, in welche Richtung wir hier gehen.
Aber es gibt eben auch die andere Seite, man kann hoffen, dass die feministische Bewegung nicht nur repräsentative Macht gewonnen hat, sondern auch strukturelle Macht gewonnen hat, also jetzt langsam in den Machtpositionen sitzt. Nehmen Sie Taylor Swift, nehmen Sie Barbie, nehmen Sie Greta Gerwig. Dass der Backlash real ist, sieht man zum Beispiel daran, dass Greta Gerwig und Margot Robbie, die den erfolgreichsten Film des letzten Jahres gemacht haben, nicht bei den Oscars nominiert wurden, weil die Oscars nach wie vor männlich nominiert sind.
CR Barbie haben sie erwähnt, Taylor Swift haben sie erwähnt und wenn man jetzt noch einen Superstar eben wie nun Harry Styles, um den sich dieses Gespräch dreht, dazu nimmt, dann muss man ja auch sagen, dass die aufgrund ihrer Identität, diesem zugeschriebenen Feminismus oder diesem vielleicht auch manchmal behaupteten Feminismus oder dieser Queerness, die sich dann irgendwie ausdrückt bei Harry Styles, dass sie daraus natürlich auch Kapital schlagen. Sollte man das nicht auch kritisieren?
CM Ja, aber warum kritisieren wir das ausgerechnet an den Männlichkeiten, die hier tolle Vorbilder sind und queere Repräsentation leisten? Würden wir auch Westernhagen solche Fragen stellen oder irgendwelchen männlichen Schlagersängern wie Gabalier und wie sie alle heißen? Die bekommen nicht diese Fragen gestellt, dass sie ja nun ihre Kunst kapitalisieren, und die verdienen trotzdem enorm viel Geld. Und deshalb kann ich das nicht nachvollziehen, warum das ein Vorwurf sein kann. Wir können ja froh sein, dass die so viel erreichen.
CR So viel Geld machen.
CM So viel erreichen und das Geld für so viel Gutes einsetzen. Wir reden jedes Jahr wieder darüber, warum die großen deutschen Festivals auf ihren Bühnen nur männliche Acts haben. Warum die sich keine queeren und weiblichen Bands buchen. Weil einfach Männer sich in diesem Netzwerk nicht bewegen. Und immer wieder hören wir „Wir konnten da keine Frau finden, wir konnten keine queere Menschen finden.“ Das bedeutet immer, dass sie nicht gesucht haben und auch gar nicht wollen.
CR Was ist das Gute, wofür Harry Styles seinen Erfolg einsetzt?
CM Naja, ich finde Harry Styles repräsentiert vor allem Teilnahme und Offenheit und Engagement für queere und weibliche Positionen. Ich finde genau diese Frage nämlich auch viel spannender: Warum nehmen sich Männer keine Frauen und queeren Menschen zum Vorbild? Das erste, was Männer machen, wenn sie nach Vorbildern suchen, ist sich nach männlichen Vorbildern umzuschauen, obwohl es da eigentlich gerade nichts interessantes gibt. Warum fragen wir nach männlichen Vorbildern, wenn weibliche und queere Menschen so viel bessere Produktionen hervorbringen? Solange bei meinen Neffen zu Hause keine weiblichen Superheld:innen und Fußballer:innen an der Wand im Kinderzimmer hängen, so lang sind wir noch nicht viel weiter.
CR Und warum ist das so? Was meinen Sie?
CM Ja, weil wir alle so aufwachsen. Wenn ich in unseren Seminaren die Teilnehmerinnen bitte, vor allem die männlich gelesenen Teilnehmerinnen bitte, ihre Handys rauszuholen und die Best-of-Spotify-Liste oder Streaming-Netflix-Liste, was sie so am meisten geguckt haben im letzten Jahr, dann haben sie auf den ersten zehn Plätzen unter Garantie Männer. Der Medienkonsum von Männern ist sehr, sehr männlich dominiert. Die meisten Männer wachsen mit Männern auf, in Männerrunden, in männlich dominierten Umgebungen. Und die meisten Männer können ihn keine zwei Schriftsteller:innen nennen, keine zwei Musiker:innen nennen, keine Sportler:innen nennen und so weiter. Und das zeigt ja schon, dass wir es so gewohnt sind, uns Männer zum Vorbild zu nehmen.
CR Und wenn ich Sie richtig verstehe, plädieren Sie dafür, sich Harry Styles zum Vorbild zu nehmen?
CM Unbedingt, aber nicht nur Harry Styles. Nehmen Sie sich Björk zum Vorbild, Beyoncé, Taylor Swift, lesen Sie Virginia Woolf. Taylor Tomlinson, wenn sie Comedy hören wollen. Bell Hooks ist eine großartige Schriftstellerin. Also einfach den Medienkonsum auf weibliche und queere Positionen umstellen als Mann und wenn sie das ein paar Monate gemacht haben, dann wollen sie auch nicht mehr zurück, weil sie halt merken, was Männer alles verpassen. Wir müssen Männern Lust auf queere und weibliche Bilder machen und das ist das, was Harry Styles hier vorlebt und dafür müssen wir ihm dankbar sein, dass er da eine Vorbildrolle einnimmt.
CR Das sagt Christoph May, der sich mit kritischer Männlichkeit auseinandersetzt in Workshops und Vorträgen. Vielen Dank für das Corso-Gespräch.
CM Ich danke Ihnen.
CR Ja, und das war auch der Corso-Podcast. Den kann man überall abonnieren, dort wo es Podcasts gibt. Mein Name ist Christoph Reimann, vielen Dank fürs Zuhören, machen Sie’s gut.