Killer, Outlaws, Supermänner: Der männliche Körperpanzer
Vor über 40 Jahren erschien Klaus Theweleits Untersuchung Männerphantasien. Aus diesem Anlass analysiert Gastautor Christoph May die aktuelle Fantasielosigkeit
Essay von Christoph May | Erschienen auf Die Standard am 15. März 2020
Und wieder sind die #OscarsSoMale. Keine einzige Frau* für den Regie-Oscar nominiert. Es ist eine Katastrophe, ein Desaster, das absolute Versagen. Stattdessen Mafiosi, Soldaten, Rennfahrer, Stuntmen, ein Clown und ein imaginärer Adolf Hitler. Nahezu alle Filme und Serien aus den vereinigten Staaten sind männliche Produktionen. Von Herr der Ringe über Star Wars bis Game of Thrones. Nur zehn Prozent aller Drehbücher werden von Frauen* verfasst. Bei Disney, Universal und Paramount schreiben 90 (!) Prozent Männer*. Bei Netflix, HBO und Amazon sind die Zahlen ähnlich.
Der hypermaskuline Impact von Serien und Filmen auf das gesellschaftliche Unterbewusstsein scheint enorm. Die Story- und Bilderflut fiktiver Männerwelten kaum zu bewältigen. In Wahrheit aber beschränkt sich die Phantasie von weißen, männlich dominierten Monokulturen auf drei simple Inszenierungsformen, an denen sich die Männer* sprichwörtlich abarbeiten: den Körperpanzer, die Kreatur und die Raumüberlegenheit. Das Bemerkenswerte ist, je schneller und effizienter die Produktionsprozesse und je größer der Output ihrer Erzählungen, desto rasender die Verzweiflung, dass Mann* sich hier so richtig festgefahren hat, quasi Stillstand.
Körperpanzer
Bei Matthes & Seitz erschien vor kurzem eine Neuauflage der Männerphantasien von Klaus Theweleit (1977). Darin entwickelt er seine bekannte These vom faschistischen Körperpanzer, der sich durch Drill und Prügel schon früh als eine Art zweites Ich herausbildet und nach außen hin durch militärische Härte, Kälte und Gnadenlosigkeit wahrgenommen wird. Wie ich zeigen werde, hat sich die Metaphorik des Körperpanzers darüber hinaus zu der wohl dominantesten aller männlichen Repräsentationsformen in spätmodernen Serien und Filmen entwickelt.
Beginnen
wir mit der 800ter Serie des
Terminator, ein Androidengestell ohne Selbstheilung,
der mit Haut überzogene Roboter-Retter. Die Maschinen der Zukunft
schicken ihre “verbesserte“, sprich flüssige Version (T-1000) in
die Vergangenheit, um die alte auszurangieren. Ebenfalls komplett aus
Stahl, sogar das Hirn, aber morphfähig. Bei Wolverine von den X-Men
besteht nur das Skelett aus Adamantium, nicht sein ganzer Körper.
Weil sie ihm das Metall nicht ganz freiwillig injiziert haben, fährt
er künftig die Krallen aus und leidet wie, nun ja, wie ein freud-
und freundloses Frettchen eben. Iron Man hingegen trägt sein
vollständig geschlossenes Exoskelett als autonome Voll- und
gelegentlich Doppelpanzerung. Derweil Tom Cruise den Aliens in einem
offenen, allerdings nicht autonomen Exoskelett entgegen
stampft (Edge of Tomorrow).
Diese schmerzfreie Version ist Matt Damon auf Elysium
leider nicht vergönnt. Sein Exoskelett – genauer: halb Exo, halb
Endo – wird fest mit dem Körper verschraubt und dem Rückgrat
verschweißt.
Der berühmteste aller Körperpanzer von Darth Vader wurde einzig zu dem Zweck entwickelt, den massiv zerstörten Körper seines Trägers zusammenzuhalten. Das schwarze Fetisch-Outfit dient ihm als Versiegelung inklusive Atemmaske (viel dampfendes Plastik). Deadpool könnte ohne Ganzkörperanzug umher tollen, will seinen mutationsverstümmelten Tumorkörper aber lieber verbergen. Wohingegen das muskeldefinierte Kampfkostüm von Batman dem Dark Knight einzig als Maskerade nützlich ist. Jedwede körperliche Überlegenheit verdankt er bekanntlich seinem Maschinenpark. Billige Tricks like that hat Superman nicht nötig. Seine Kräfte sind angeboren und nahezu unerschöpflich. Erschöpfung ist btw eine der Haupt-Tropen im Hero-Business. Ob seiner bald 80 jährigen Geschichte gilt er heute als Ikone: die Verkörperung übermännlicher Fähigkeiten par excellence. Aber auch hier gibt es Aushärtungspotential. Der aktuelle Superman kommt als Men of Steel daher, also wieder Stahl. Seine Figur steht wie keine andere für die rasenden Reaktionismen einer beschleunigten Phantasielosigkeits-Stahl-Industrie.
Kommen
wir zur Tradition der freien Oberkörper. Früh zu sehen bei
Stallone, dem alten Rambo, später Bruce Willis in Stirb
Langsam. Die neuen Rambos heißen Diesel, Statham und natürlich
Johnson. Dwayne – die menschgewordene Hulk-Pose unter den
Muskelbergen – Johnson. Weitere Tradition: die Teilpanzerung wie
beim Maulkorb von Bane in Dark Knight. Der alte Hannibal trug
Maulkorb, der neue Hannibal redet so lange auf seinen Gegenspieler
Will ein, bis dieser sich freiwillig einen umlegt. Immortan Joe aus
Mad Max: Fury Road hat sich sogar echte Pferdezähne vor den
Mund geschnallt. Und Mad Rockatansky ist satte 90 Film-Minuten lang
damit beschäftigt, seine Eisenmaske vom Kopf zu feilen, um sich kurz
vorzustellen: “Max. Mein Name ist
Max. Das ist mein Name.“ Dann schweigt er wieder. Maulkörbe
symbolisieren die enorme emotionale Sprachlosigkeit ihrer Träger.
Immortan Joes weiße Haut bringt eine dritte Motiv-Linie ins Spiel. Sie steht für nicht durchblutete Männlichkeit, gefühlskalt, radikalisiert, innerlich tot. Die Tradition der Bleichgesichter beginnt 1931 mit Boris Karloff als Frankenstein (Oder der moderne Prometheus) und reicht bis zu dem blassfauligen Moment, als Darth Vader seine Maske abnimmt. Nicht zu vergessen die sogenannten Ingenieure in Prometheus: organisch mit ihrem Körperpanzer verwachsen und allesamt sprachlos. Weibliche Ingenieure hat es nie gegeben. In der Phantasie von Ridley Scott bringen Männer* von außerhalb das Leben auf die Erde. Negation, Abwehr und Abwertung der Frau* also in vollem Gange. In Westworld werden die Androiden in Orantenhaltung (Segnung, Kreuzigung, Himmelfahrt usw.) auf ein Rad geschnallt und mit weißer Haut überzogen. Damit sie Farbe annehmen, steckt Mann ihnen final einen Schlauch in den Rücken und beginnt mit der Kunstblutzufuhr.
Auch
der neue Hannibal präsentiert viele seiner Opfer in Orantenhaltung,
eines zum Beispiel direkt als Baumstamm und Stammesvater mit
Düngerfunktion (Season 2, Episode 6). Wenn Hannibal die Körper
seiner Opfer mit allerhand Messern und Werkzeugen malträtiert,
erinnert das nicht nur an einen Mett-Igel, sondern auch an den von
Pfeilen durchsiebten heiligen Sebastian. Ebendiese Pfeile als
Handfeuerwaffen in großer Zahl auf John Wick gerichtet,
verweisen umso deutlicher auf das immanente Bedrohungsgefühl und die
enorme Angst davor, innerhalb von nur 90 Minuten 127 Männer* töten
zu müssen.
Der
Körperpanzer kann natürlich auch nach außen projiziert werden in
Form von Autos, Robotern, Androiden und Fluggeräten aller Art bis
hin zu ganzen Flotten aus Maschinen. Und nicht zuletzt auf
Frauenkörper. Kurz zu den Maschinen: bei der Gestaltung von
außerirdischen Metall-Boliden, Kampfschiffen und Sternenflotten sind
der männlichen Phantasie erhebliche Grenzen gesetzt. So zählt der
Transformerboss Optimus Prime zu einer Tafelrunde aus sprechenden
Sportwagen, das Raumschiff Enterprise hat sich zero verändert in den
letzten 50 Jahren und die Sternenzerstörer von Palpatine sind jetzt
dort gelandet, wo sie schon immer hingehören: als Weltraumschrott
auf dem Müll der Design- und Ideengeschichte extraterrestrischer
Panzerkreuzerflotten.
Nebenbei
gefragt: Feiert Star Wars mit dem Untergang der “ersten Ordnung“
den endgültigen Sieg über die traditionelle Männlichkeit? Wohl
kaum. Zunächst wird das Ende der cis-Lords (= Sith Lords) nur
möglich, weil Kylo Ren seine letzten Männergien in Rey pumpt (Male
Savior Trope). Obendrein wird ihr kein eigener, ikonischer Name
zugestanden. Die bisher nachnamenlose (!) muss sich jetzt Skywalker
nennen. Und zu guter Letzt ist ihre Figur nicht nur der Phantasie
dreier Männer* entsprungen (Kasdan, Abrams, Arndt), auch für das
Drehbuch von The Rise of Skywalker
zeichnen vier Männer* verantwortlich.
Doch zurück auf die Erde und hinein in den Geräteschuppen von Iron Man, der sich unterdessen eine beachtliche Körperpanzer-Armee zugelegt hat. Jedes seiner Exoskelette läuft autonom steuerbar und mit Sprach-Service. So lässt sich oft schwer sagen, ob jemand drin steckt im Panzer. Ob der Mann wirklich zu Hause ist, sprich emotional präsent. Wie das folgende Video zeigt, ist die Auswahl der Emotionen, zu denen die genannten Körperpanzer fähig sind, noch immer rudimentär. Wir sehen eine Produktwerbung für den Androiden David Nummer Acht, den man sich ab sofort nach Hause liefern lassen kann, Stichwort Care Gap:
Wird die Körperpanzer-Phantasie auf Frauen* übertragen – quasi Live-Projektion –, werden sie als Riesenbedrohung inszeniert. Oft in Form künstlicher Intelligenz, von Männern* erschaffen und erbaut. Sie werden zwar biblisch Ava genannt wie in ex machina, aber schnell wird klar, dass hier nicht die KI Bedrohung und Gefahr darstellt, sondern die Gefährtin selbst, die weibliche Intelligenz, die Frau* als sich emanzipierendes Objekt. Die wohl frauenverachtendste Männerphantasie dieser Art findet sich in einem Freizeitpark für Männer* namens Westworld und wird Dolores genannt. Damit Dolores ein Bewusstsein entwickeln kann – so die perfide Idee des alten, weißen und einsamen Entwicklers Dr. Robert Ford (Anthony Hopkins) –, muss ihr Körper wieder und wieder missbraucht und getötet werden. 30 (!) Jahre lang nahezu täglich, also viele tausend mal. Die Emanzipation der Frau* nach männlichem Drehbuch wird hier als die wohl längste Schändung inszeniert, die man sich vorstellen kann. Und die Zuschauer? Sind begeistert. Was für ein Spektakel! Dolores kommt von lateinisch dolor und bedeutet Schmerz, Reue, Pein.
Soviel
zum Körperpanzer. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier live
und in Echtzeit die gängigen Formen von Toxic Masculinity verhandelt
werden. Sprichwörtlich in Form gegossen im Stahlwerk von Kino und
Streamingdiensten: emotionale
Distanz, Hyperkonkurrenzdenken, Aggression, Einschüchterung,
Bedrohung, Gewalt, sexuelle Objektivierung und abgrundtiefer
Frauenhass.
Im zweiten Teil widmen wir uns einer weiteren, sehr dominanten und spezifisch männlichen Inszenierungsform: der Kreatur. Es geht sprichwörtlich ums Eingemachte.