Urlaub vom Todesstern: Viel Rummel um Darth.

Todessterne, Schlachtfelder, Hobbykeller: Raumüberlegenheit und Männlichkeit

Analyse von Gastautor Christoph May über die Fantasielosigkeit männlich dominierter Monokulturen in Serien und Filmen

Essay von Christoph May | Erschienen auf Die Standard am 16. Mai 2020
Vor über 40 Jahren erschien Klaus Theweleits Untersuchung Männerphantasien. Aus diesem Anlass analysiert Gastautor Christoph May die aktuelle Fantasielosigkeit in drei Teilen. Bisher erschienen sind: Killer, Outlaws, Supermänner: Der männliche Körperpanzer und Monster, Aliens, Bestien: Die Kreatur im Mann. Dies ist der letzte Teil:
Wo bleiben die Männer*, die auf den Demos am Frauen*tag für Frauen*rechte, Gleichstellung und Geschlechterdiversität auf die Straße gehen? Und wieso halten sich Männer* so unfassbar einstimmig aus der #MeToo Debatte raus? Die Antwort ist so simpel wie traurig: überall dort, wo männliche Vorherrschaft (Male Supremacy) lautstark verurteilt, kritisiert und in Frage gestellt wird, fühlen sich Männer* nicht etwa ermutigt, selbstkritisch ihre Privilegien abzugeben und männliche Schweigekulturen aufzubrechen, nein, ganz im Gegenteil: sie sind beleidigt. Lieber nehmen sie sich raus aus den Diskursen und investieren viel Zeit und Geld in Spielekonsolen und Binge Watching. Denn in fiktiven oder virtuellen Räumen zieht so schnell niemand ihre Überlegenheit in Zweifel.
Männerphantasien von Klaus Theweleit | Matthes & Seitz Berlin
Nach Körperpanzern und Kreaturen lautet die dritte Frage also: Wie lassen sich die PhantasieWelten von Männern* als Innenwelten und Gefühlslandschaften lesen? Von Westeros bis Westworld, von Tatooine bis Mittelerde. Willkommen an Bord der Prometheus oder der Black Pearl. Wer war noch nicht in Hogwarts und Gotham City? Oder in der Oasis? Schaut man genauer hin, wird Diversität oft nur vorgetäuscht: Wieviele Figuren könnt ihr im Trailer von Ready Player One als eindeutig männlich erkennen?
Repräsentation und Täuschung: Der Bombast an Figuren, Action und Spektakel wirkt sehr divers, die meisten Charaktere aber sind männlich.
Wir beginnen unseren Kurztrip in Mittelerde von Tolkien 1937. Düsterwälder, Auenländer, Moore und Eisenberge soweit das Auge reicht. Von dort weiter nach Westeros, das Land aus Eis und Feuer. Überall Burgen, Schlösser, Mauern und Gräben voll mit Eisenmännern*, gesichtslosen Männern* und weißen Wanderern. Bis vor kurzem stand im Norden noch eine Trump Wall aus Eis. Kurzer Abstecher ins All, hinein in die erstaunlich ausdifferenzierte Planetenförderation von Star Trek. Und wieder zurück nach Los Angeles ins Jahr 2009, wo ein Kinoplakat für Terminator Salvation veranschaulicht, wie aus der urbanen Psychogeographie von La La Land die Physiognomie von Schwarzenegger hervor explodiert.
Woran erkennen wir mit Sicherheit, dass wir gerade durch eine Männerphantasie laufen? Nun, einfach daran, dass sie von Männern* erdacht, gebaut, besiedelt und zerstört wurde, woraufhin sie sogleich erneut erdacht, gebaut, besiedelt und zerstört werden muss und immer so weiter. Tolkiens Mittelerde ist unmittelbar um Frodo und Bilbo herum aufgebaut, im Weltall dreht sich noch immer alles um Luke, Darth, Kylo, Han und Yoda, und der eiserne Thron von Sheldon Cooper ist das Couchkissen rechts außen. Btw ist euch jemals ein weiblicher Hobbit begegnet? Tony Stark hat sich jetzt endgültig in den Hobbykeller zurückgezogen. Opfertod. Vom rücksichtslosen Moneyman zum Märtyrer, ernsthaft? Mit Superman schließlich düsen wir hinauf in die Wolken des Himmels und die Weiten des Alls direkt bis zur Abrissbirne von Darth Vader. Die berühmteste aller Psychogeographien: der Todesstern. Soviel zur geistlosen Umgebung und Ausstattung monokultureller Männerphantasien: die Landschaft männlich, die Vegetation männlich, das Klima männlich, die Architektur ja eh.
Massenvernichtungswaffe, Volksausrotter, Genozid-Geschoß: ausdifferenzierte Bau- und Logistikfantasie für Todessterne.
Aber gehen wir einen Schritt weiter: Hinterm Todesstern gelangen wir zu einer Raumstation für die Superreichen mit Namen Elysium: die Insel der Seeligen, das vollkommene Glück. Wir fliegen näher ran und hinein in den Außenring. Das Bemerkenswerte hier ist der gebogene Horizont. Das gleiche Phänomen in Interstellar, kurz nachdem Daddy und Tochter Relativität und Quantenphysik miteinander vereint haben. Will sagen, bisher wurden nur aufwendige Landschaften inszeniert. Je mehr das Weltbild traditioneller Männlichkeiten aber in die Kritik gerät, sprich, je fragiler der Körperpanzer und je lauter das Heulen der inneren Kreatur, umso heftiger geraten auch die Dimensionen von Raum und Zeit durcheinander.
In der Story von Inception wird beides durchgespielt. Die verschiedenen Stufen des Unterbewusstseins eines Mannes* werden hier durch jeweils spezifische Psychogeographien veranschaulicht, die allesamt parallel laufen und obendrein in verschiedenen Geschwindigkeiten. Der Druck, sich mit seiner eigenen Männlichkeit auseinanderzusetzen zu müssen, steigt erheblich. Je höher der Leistungs- und damit der Leidensdruck, umso schneller dämmert es den Männern*, dass sie die Selbstkritik nicht umgehen können. Der heftigste Ausdruck dafür wieder in Edge of Tomorrow. Bill Cage (= Die Rechnung: der Käfig) steckt in einem Loop aus Leben und Tod fest. Bedeutet, er muss solange sterben und wieder aufwachen, sterben again, aufwachen, sterben und so weiter, bis Rita (wieder ohne Nachnamen) ihm alles gezeigt hat, was er wissen muss, um die Schleife zu durchbrechen.
Zurück zum Chaos aus Raum und Zeit. Dr. Strange erhielt vor kurzem die Fähigkeit, ganze Städte in Cluster zu legen. Verkehrte Welt, um genau zu sein. Oder Valerian – Die Stadt der Tausend Planeten. Ein Gute-Laune-Clusterfuck ungeheuren Ausmaßes im Weltraum irgendwo. In Blade Runner hingegen ist die Erdoberfläche versiegelt, völlig zugebaut, lebensfeindlich. Wenn die Männerphantasie doch kurz mal etwas paradiesisches zustande bringt, dann nur, um es sofort wieder auszulöschen wie in der Eröffnungsszene von Valerian.
Womit wir final bei der Königsdisziplin männlicher Raumüberlegenheit angekommen sind: auf dem Schlachtfeld. Vom never ending Weltkrieg in Edge of Tomorrow über die Land- und Seeschlachten in Game of Thrones bis zur Zombie-Apokalypse in World War Z. Die Liste ist unendlich. Von Kampfplätzen über Kampfarenen bis zu Kampfsternen und Galaxien. Battlefields und Tatorte bilden das psychogeographische Zentrum männlich dominierter Erzählungen in der Spätmoderne. Den Begriff Raumüberlegenheit habe ich übrigens von den wendigen Raumschiffen des Imperiums (die Bösen!) in Star Wars übernommen. Ein bestimmter Typ der Sternenjäger dort nennt sich Raumüberlegenheitsjäger.
Vorauseilende Verlassenheit oder Einsamkeit wird oft als eisige Kälte inszeniert. Die tiefen Temperaturen im Weltall zum Beispiel, der Eishimmel in Interstellar oder die Eis- und Rückzugshöhle von Superman, seine berühmte Fortress of Solitude. Der perfekte Ort natürlich, um sich fernab allen Lebens neue Welten für unsere Kids auszudenken. Wusstet ihr schon, dass die Minions allesamt männlich sind? Und wieso gleich gibt es bei Pixar ausschließlich männliche Phantasiewelten?
Men only | Pixar Movies
Ich wollte zeigen, dass sich männlich dominierte Monokulturen auf männlich dominierte Darstellungsformen beschränken, die jedwede Diversität und Kreativität im Keim ersticken. Denn je besser es uns gelingt, diese Phantasien zu erkennen, zu benennen und in Frage zu stellen, umso schneller verlieren sie ihre überwältigende Faszination und ihre Wirkmacht. Wie lange wollen wir noch dabei zusehen, wie traditionelle Männlichkeiten tagein tagaus um ihr erbärmliches Überleben kämpfen?
Lassen wir uns nicht länger täuschen und langweilen, es gibt so viel besseres zu entdecken! Hier zwölf erstklassige Drehbücher, an denen keine Männer* beteiligt sind: Fleabag, Big little Lies, Glow, I love Dick, Sex Education, Chewing Gum, Gentleman Jack, Mrs. Fletcher, Killing Eve, Modern Love, Orange is the new Black, The Marvelous Mrs. Maisel.
Killer, Outlaws, Supermänner: Der männliche Körperpanzer | Die Standard
Monster, Aliens, Bestien: Die Kreatur im Mann | Die Standard
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