Über eine spezifisch männliche Inszenierungsform: Die Kreatur, das kreatürliche Innere spätmoderner Männlichkeiten
Essay von Christoph May | Erschienen auf Die Standard am 05. April 2020
Vor über 40 Jahren erschien Klaus Theweleits Untersuchung „Männerphantasien“. Aus diesem Anlass analysiert Gastautor Christoph May die aktuelle Fantasielosigkeit. Nach den männlichen Körperpanzer von Killern, Outlaws und Supermännern nun zur zweiten, spezifisch männlichen Inszenierungsform: die Kreatur.
Meine Partnerin hat einen schweren Verlauf. Fieber, Lungen- und Herzmuskelentzündung, das volle Programm. Die Corona-Epidemie macht uns eine Höllenangst. Parallel dazu darf ich hier über die Macht- & Gewaltepidemie toxischer Männlichkeit schreiben, insbesondere über Männerphantasien in Serien und Filmen. Der Schaden von Covid-19 lässt sich noch nicht bemessen. Die desaströsen Folgen traditioneller Männerbilder hingegen übersteigen meine Vorstellungskraft schon seit Jahren um ein Vielfaches. Hypermaskuline Kampf- und Gewaltinszenierungen prägen erheblich das Leben aller (!) Männer* von klein auf.
Nach dem ich kürzlich den männlichen Körperpanzer von Killern, Outlaws und Supermännern untersucht habe, nehme ich jetzt eine zweite, spezifisch männliche Inszenierungsform in den Blick: die Kreatur. Das kreatürliche Innere aktueller Männlichkeiten wird zumeist mit einem Geburtsakt hervorgebracht. Das bläuliche Alienfötus mit langem Peniskopf in Prometheus, Nährstofftanks mit eingelegten AlienPilzGehirnen bei Independence Day, oder der Whirlpool mit aufgequollenen, bleichen Precogs in Minority Report. Herzerweichend das treusorgende Bild von Agent Jay (Will Smith) in Men in Black, als er plötzlich ein glitschiges Alienbaby im Arm wiegt und in tiefschwarze, liebenswürdige Augen blickt. Soviel zum züchten, wuchern und einlegen von außerirdischen Nacktschnecken.
Ausgewachsen
sind sie ausnahmslos hochaggressiv und superletal. Riddick aka
Toretto aka Vin Diesel rückt den Monstern auf Pitch Black –
Planet der Finsternis mit einem schwertgroßen Filetier-Messer zu
Leibe. Das Hinterteil dieser imposanten Skorpione ist mit einem
Dreizack versehen, ihre Klauen erinnern an Wiegemesser für
Küchenkräuter. Auf Planet Erde steht Tom Cruise indes einer Art
blitzschnellen und hochbösartigen Kabelsalat-Armee mit Vampirzähnen
gegenüber. Sie reißen wutentbrannt ihr Maul auf und fauchen Feuer
(Edge of Tomorrow).
In
puncto Größe hat der japanische Einfallsreichtum die Monsternase
vorn. Zum Figurenpark der sogenannten Kaijūs (wörtlich: seltsame,
rätselhafte Bestien) zählt zum Beispiel Godzilla, der bekannteste
unter den aufrecht laufenden KrokoSauriern. Kaijū-Köpfe sehen wie
Äxte oder Messer aus (Knifehead). Godzilla steht größentechnisch
auf Platz drei. Number One gehört einer riesigen Kaijū-Krake, 180
Meter hoch, also zweimal die Freiheitsstatue inklusive Sockel.
Womit
wir bei den Insekten angekommen sind, mehr Kreatur als Panzer. Im
letzten Independence Day: Resurgence begegnet uns eine 50
Meter große Gottesanbeterin auf Krakenbeinen, Tentakel auf dem
Rücken, bekrönt mit einem Fächergehirn. Einer ihrer Soldaten zählt
sage und schreibe sechs (!) Kniegelenke. In District 9 werden
die Insektoiden in Ghettos gesperrt, quasi Flüchtlingsenklave. Die
sogenannten Chitauri bei den Avengers tragen den Chitinpanzer
bereits im Namen. Skelettartige Schädelform, Krone drauf, fertig.
Gleichauf
mit den Ameisen stehen die Spinnen. Kommt mir zuerst Tom Hardy als
evil Spiderman namens Venom in den Sinn. Venom bedeutet Gift,
Gehässigkeit und Bosheit. Er tropft pechschwarz auf seinen Wirt
hinunter und stellt somit die wohl beste Verkörperung für Toxic
Masculinity dar, die sich aktuell finden lässt. Dann wären da noch
der Demogorgon mit aufgeklapptem Blütenmaul in Stranger Things
und der berühmteste aller Alienköpfe: Ridley Scotts Xenomorph. Hier
hat sich Freuds absurde Kastrationsangst am deutlichsten
manifestiert, denn der Xenomorph ist ein Peniskopf (Googeln:
Xenomorph Giger). Wer noch immer nicht überzeugt ist, dass es sich
bei Kreaturen jeder Art um spezifisch männliche Darstellungsformen
handelt, hat noch nie gesehen, wie die unschuldig weiß und knapp
bekleidete Männerphantasie Ellen Ripley (Sigourney Weaver)
gleichzeitig von zwei sabbernden, geifernden und röchelnden
Penismäulern bedrängt wird.
Vom Peniskopf zur Schnapp-Vulva. Sehr alter, nordamerikanischer Mythos. Von Freud fälschlicherweise als Vagina Dentata bezeichnet. Nehmen wir noch einmal Riddick: die äußere Gestalt der entsprechenden Kreaturen entspricht exakt der Anatomie weiblicher Geschlechtsorgane: Eierstöcke, Eileiter und Vagina sind deutlich zu erkennen. Nur die Gebärmutter wurde geflissentlich ausgelassen, die Eileiter gehen direkt in die Vagina über. Eine sehr subtile Form, die weibliche Fruchtbarkeit zu negieren. Während dir die Vulva Dentata in Prometheus direkt ins Gesicht springt (yep, der Facehugger ist eine beißwütige SpringVulva), kommt sie in Game of Thrones in den aufgerissenen Mäulern dreier feuerfluchender Drachen zur Aufführung. Bereits 1417 zeigt Paolo Uccello in einem Gemälde, wie der heilige Georg seine Lanze in das rechte Auge einer Drachenkreatur rammt, die doch sehr an die zweibeinigen Echsen von Riddick erinnert. Drache kommt von lateinisch drako und bedeutet Schlange. Psychoanalytisch symbolisiert ein Drache die zerstörende und verschlingende Mutter, die den Weg zur Prinzessin versperrt (Männerphantasie-Psychologie von C. G. Jung).
Bei
Star Wars findet sich die Vulva Dentata als sandige,
männerverschlingende Wüstenvulva namens Saarlac unter dem
Sprungbrett von Luke Skywalker wieder. Muss ich nicht erwähnen, dass
es die als Spielzeug zu kaufen gibt (Googeln: Saarlac Hasbro). Wie
überhaupt alles bisher erwähnte selbstredend auch in der
Spielzeug-Version zu haben ist. Abschließend soll nicht unbemerkt
bleiben, dass Schnappvulven gelegentlich Blütenform annehmen können.
Ähnlich wie beim Demogorgon vorhin.
Ob
nachtaktive Wucherung oder Reaktorunfall, die bekanntesten Kreaturen
sind jene mit eindeutig männlicher Gestalt: Gollum aus Herr der
Ringe etwa, der Fischmann aus Shape of Water oder die
White Walker in Game of Thrones. Letzte Kreatur-Gattung also:
Zombies. Von den unzähligen Walking Dead hinterm
Maschendrahtzaun bis zur Shakespeare-Variante in Land of the Dead,
wo Big Daddy in die weit aufgerissenen Pupillen eines Zombiekollegen
blickt, dessen abgerupften Kopf er sich direkt auf Augenhöhe hält.
Lacansches Spiegelstadium.
Nur
halb geboren zu sein bedeutet, sie
haben keine lange Lebenserwartung. Statt “Walhalla“ rufen die
Warboys in Fury Road
auch “Leukemia“, sie leiden unter Blutkrebs, allesamt. Wobei
leiden hier immer verdrängen bedeutet. Sprachlos, tobend,
mordsüchtig. Männer inszenieren sich gerne als Epidemie oder Seuche
wie in 12 Monkeys
und World
War Z.
Sie schwärmen als Untote aus, überrennen die Infrastruktur –
sprich das Immunsystem – der Städte in aller Welt und bilden
wuchernde Virenkolonien. Einziges Ziel: Systemkollaps, totaler
Ausfall, Weltuntergang. Weit oben auf der Liste hypermännlicher
Allmachtsphantasien: die Apokalypse. Corona nichts dagegen.
Die Kreatur also, das kreatürliche Innere spätmoderner Männlichkeiten. Eine Art Gewebewucherung aus Knorpeln und Muskelfasern. Der blutschleimige Ausdruck tief sitzenden Schmerzes, wild gewordene Mutation, Virenplage. Und wie das nicht zu Ende geborene Brülltier in den Wald hinein ruft, so brüllt der Wald zurück: Im dritten und letzten Teil unternehmen wir einen Kurztrip durch spezifisch männliche Phantasielandschaften.